Der Mensch als Ratte

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Der Roman "Firmin - ein Rattenleben" ist die tragisch-komische Geschichte einer Ratte die ihre Liebe zur Literatur entdeckt und deren größter Wunsch darin besteht einen menschlichen Freund zu finden. Dem Autor Sam Savage gelang mit seinem ersten Roman im Alter von 66 Jahren ein vielgerühmter Bestseller. Der promovierte Philosoph ist außerdem noch Verfasser mehrerer Novellen und war in den 1960er Jahren Herausgeber einer Literaturzeitung. Seinen Lebensunterhalt verdiente er sich aber auch als Tischler und Fischer. Der Titel seines Romans ist ungewöhnlich, macht neugierig und es stellt sich die Frage: Was bedeutet es ein Rattenleben zu führen?

Firmin wächst in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts als zuletzt geborenes Rattenkind in einer Großfamilie auf und so lernt er von Anbeginn seines Daseins sich durch das Leben zu schlagen. Als Unterschlupf hat seine Mutter eine Bostoner Buchhandlung gewählt, in der Firmin aufwächst. In Zeiten des Hungers nagt er an den Seiten der Bücher und verinnerlicht so wortwörtlich deren Inhalt. Zahlreiche Zitate und Auszüge aus der Weltliteratur ziehen sich so durch den gesamten Roman. Firmin wird zum wahren Literaten und lernt nebenbei die Widrigkeiten des Lebens, die Niedertracht der menschlichen Spezies sowie die Minderwertigkeit seines eigenen Daseins kennen. Als sich seine Familie nach und nach auflöst und er schließlich als einzige Ratte in der Buchhandlung residiert, entwickelt er eine immer stärkere Zuneigung zu dem Besitzer des Ladens, die jedoch - wie er bald erfahren muss - nicht auf Gegenliebe stößt, sondern mit einem Giftanschlag auf ihn beantwortet wird. Zuflucht findet er nach weitere feindlicher Bekanntschaft mit anderen Menschen schließlich bei einem Schriftsteller, dessen bester Freund er wird. Doch wie man sich schon denken kann wird dem unheilgewohnten Firmin kein Happy End gegönnt.

Firmin ist ein wahrer Geniestreich Savages. Der einzigartige Charakter der Ratte sollte jedem Leser zu denken geben. Schade nur, dass Savages sich ausgerechnet eine Ratte als Träger dieses Charakters ausgedacht hat. Den Ratten sind bereits schon ohne dieses Werk mehr als genug mit negativen menschlichen Einstellungen belastet. Die Ratte in Savages Roman wird stark klischeehaft dargestellt hat damit wenig mit der Wirklichkeit zu tun. So sind Ratten z. B. so ziemlich die sozialsten Wesen die es gibt. Ihr Überleben ist (auch im Erwachsenenalter) ausschließlich in ihrer Großfamilie gesichert in der sich die einzelnen Familienmitglieder umeinander kümmern. Keinesfalls führen Ratten ein einzelgängerisches Dasein. Ebenso realitätsfern ist die alkoholtrinkende Rattenmutter und etliche weitere Darstellungen. Leider bestätigt das Bild welches der Autor hier einer Ratte zuschreibt vollkommen die Vorurteile und negativen Einstellungen die viele Menschen gegenüber diesen Tieren unberechtigter Weise besitzen. Zwar wird Firmin durchaus als charmantes und intelligentes Wesen beschrieben, allerdings treten auch immer wieder negative Charakterzüge in den Vordergrund. Selbstverständlich handelt es sich hier um einen Roman und man kann die Ratte als allegorische Figur für eine verkannte Person die von Selbstzweifeln und Minderwertigkeitsgefühlen geplagt wird verstehen, was vom Autor mit Sicherheit auch beabsichtigt ist. Allerdings macht dieser nicht deutlich genug klar, dass es sich bei der "bösen Ratte" lediglich um eine Rolle handelt und nicht dass dies nicht die wahre Natur dieser Tiere ist. Savages Roman kann man also als moderne Fabel bezeichnen in der die Figur der Ratte synonym für bestimmte Charakterzüge des Menschen stehen.

Wie man sich schon denken konnte ist das Rattenleben ein erbärmliches Dasein. Ungerechtigkeiten und Selbstzweifel bestimmen dieses Leben. Die Ratte ist dabei - dessen sollte man sich klar sein - lediglich eine allegorische Figur die für diese Eigenschaften steht; ist man sich dessen bewusst, ist der Roman eine wunderbare poetische Geschichte die zum Nachdenken anregt und entgegen dem Titel mehr auf die Abgründe der menschliche Seele als die der tierischen blicken lässt. Und zum Schluss bleibt die Frage "Wieviel Ratte steckt in dir?"