Heimspiel

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martinabade Avatar

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Was soll man noch über ein Buch schreiben, das überall in der Kritik gelobt wird. Das der „NDR Titel des Monats Juni“ ist, und dessen Autorin für die ihre bereits erschienenen Titel „Sungs Laden“ und „Bergsalz“ viel Anerkennung geerntet hat. Was soll da schon schief gehen.

Trotzdem gebe ich jetzt auch noch meinen Senf dazu. Das Buch ist nämlich sozusagen ein „Heimspiel“, lebe ich doch seit mehr als 20 Jahren an der Ostseeküste, ganz nah am Orte des Geschehens. Für mich ist dieser Text also zumindest zu Beginn ein spannendes Stück Regionalgeschichte, die auch hier wenig bekannt ist.

Protagonistin ist Mia Sund. Eine Frau, die eine schwere Kindheit gehabt hat. Ganz untypisch ist sie aber nicht antisozial geworden sondern Faserarchäologin. Nun ja. Lange Jahre in ihrer Jugend lebt sie in einer Bauwagenkommune, in der zum Überleben die Grenze zwischen „echt und falsch“ oder eher „echt und gefälscht“ schon einmal kreativ interpretiert wird.

Dieses Thema zieht sich durch den kunstvoll verwobenen Plot, den Karin Kalisa vor uns ausbreitet wie einen der Teppiche, um die es hauptsächlich auf den ca. 250 Seiten geht. Raus aus der Kommune und rein in die Realität – da arbeitet Mia (Deren Namen übrigens auch nicht echt ist.) in einem Greifswalder Museum, wo sie als Kuratorin für alles Gewebte, Geknüpfte und anderweitig Textile zuständig ist. Drum herum lebt sie alles „mittel“, keine Abenteuer, keine Menschen, sogar die Wohnung ist möbliert angemietet und nahezu unverändert, „mittel“ eben.

Eines Tages legt ihr ein Kollege einen so genannten „Pommerschen Fischerteppich“ auf den Schreibtisch. Da die Provenienz des Stückes nicht geklärt ist, sagt er: „Nicht, dass der gefälscht ist.“ Fischerteppiche hängen etliche im Museum, entstanden Ende der Zwanziger Jahre an der Ostseeküste, als das Meer leer gefischt war, und die Fischer drei Jahre nicht rausfahren durften. Wovon leben? Womit die Zeit füllen? Ein österreichischer Meister des Teppichknüpfens, ein Tapisserist, bringt die rettende Idee. Die Teppiche, die in den Fischerhütten in dieser Zeit entstehen, zeigen das Leben an der See, meist in blau, braun und beige. Doch das neue Stück ist grün. Vermeintlich hundertfach grün.

Es beginnt eine Forschungsreise, die die schüchterne Mia durch halb Europa führt. Auf der Spur nach der Künstlerin, die ihren Namen in dem schillernden und vielschichtigen Kunstwerk hinterlassen. Aber – ist dieser Name denn der „echte“? Parallel zu Mias Forschungen erzählt uns Kalisa die Reisegeschichte der Knüpferin des Teppichs, die – vielleicht – Nina hieß. Und wie sagt man in der Geometrie: Parallelen treffen sich im Unendlichen.

Nicht so in diesem Buch. Im letzten Drittel nimmt sich die Autorin beherzt die beiden Erzählfäden und lässt zum Ende den einen aus dem anderen entstehen. Da zwischen all den Fäden natürlich auch das Netz der Liebe geknüpft wurde, nimmt dann zum Ende die romantische Wortgewalt etwas überhand und Mias Wandlung scheint ihr zeitweise etwas zu entgleiten. Aber für Formulierungen wie „Wenn es kein Echtes im Falschen gibt, …“ können wir das gut verknusen.