Spurensuche

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Auf Mia Sunds Schreibtisch landet eines Tages ein in auffälligen Grüntönen geknüpfter Teppich, der Ähnlichkeit mit Fischerteppichen von der Ostsee aufweist, sich bei genauerer Betrachtung aber durch viele besondere Details von anderen bekannten Exemplaren abhebt. Als Kuratorin und Faserarchäologin soll Mia die Echtheit des Teppichs prüfen. „Nicht, dass es eine Fälschung ist“ (S. 9) - mit diesem Satz aus dem Mund ihres Vorgesetzten wird Mia schlagartig von ihrer eigenen Vergangenheit eingeholt. Verunsichert, aber auch mit großer Faszination und Hartnäckigkeit beginnt die zurückgezogen lebende Kuratorin mit Nachforschungen. 1928 wurde den Fischern in der südlichen Ostsee ein dreijähriges Fangverbot auferlegt. Ein Österreicher unterwies die arbeitslosen Fischer und ihre Frauen in die Kunst der Teppichherstellung. Bereits nach kurzer Zeit avancierten diese Fischerteppiche, die heute auch als „Perser der Ostsee“ bezeichnet werden, zu begehrten Kulturgütern und sicherten den Lebensunterhalt der Familien. Dies, die Motivik, die Färbe- und Knüpftechniken sind historisch belegt, alles weitere webt die Autorin auf unterschiedlichen Ebenen um diese Fakten herum. Wir begleiten Mia auf ihrer mühsamen Spurensuche bis nach Zagreb in eine alte Werkstatt für Teppichknüpferei und -reparatur. Ausgehend von neuen Fundstücken und Hinweisen rekonstruiert sie die Geschichte der „Kleinen Fischerin“, die eine Meisterin im Erzählen war und die Entstehungsgeschichte des Teppichs. Als Mia versucht, die Spuren zu einem Gesamtbild zusammenzufügen, drängt sich ihr eine mögliche Geschichte auf. Dabei treten durchaus auch Parallelen im Leben von Mia und der „Kleinen Fischerin“ zutage.

Karin Kalisas Roman ist zugleich Märchen und Sachbuch, eine Reise in die europäische Vergangenheit und Gegenwart, eine leise Liebesgeschichte, der Versuch einer Vergangenheitsbewältigung und eine Suche nach dem Glück. Jenseits von Labeln und Echtheitszertifikaten geht es immer wieder auch um die Frage, was ein Original, was eine Fälschung ausmacht. Manchmal findet sich das Wahre im Falschen und umgekehrt - das gilt nicht nur für Gegenstände, sondern auch für das Leben.
Fischers Frau liest sich zuweilen sperrig; der Erzählstil ist nüchtern und distanziert. Es ist ein leiser Roman, der vor allem durch die gut recherchierten Fakten zur Materialkunde, der Motivik und den gesamten historischen Hintergrund punktet. Mir hat auch die Rolle gefallen, die das Erzählen von Geschichten, in diesem Roman einnimmt. „Es war und es war nicht“ (S. 250).
Diese Formel, mit der spanische Märchenerzähler ihre Geschichten eröffnen, ist auch für Karin Kalisa in ihrem Roman „Fischers Frau“ essentiell, wenn sie historisch Belegtes mit Fiktivem vermischt. Als Leserin hatte ich ein distanziertes Verhältnis zur Handlung und den Protagonist:innen. Im Gegensatz dazu sehe ich den besonderen Fischerteppich aufgrund der sehr detaillierten Beschreibung vor meinem inneren Auge in leuchtenden Farben. Zu gerne würde ich ihn wie Mia aus den unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten, mich in die Nuancen vertiefen und über die Wolle streichen.
Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen - auch, weil ich selbst einige Jahre in einem Museum gearbeitet habe und weiß, wie schwierig, aber auch faszinierend es sein kann, die Geschichten hinter den Objekten herauszufinden.