Die Story ist nicht schlecht, aber die Textqualität recht mies

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henrike von buchstabensalat.net Avatar

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Ich hinke dem Trend mit dieser Buchreihe wieder einmal etwas hinterher, weil mich extreme Hypes erst einmal abschrecken (zu große Erwartungen wurden leider oft schnell enttäuscht), aber nun habe ich Fourth Wing endlich einmal selbst gelesen. Inzwischen ist es auch in der Onleihe meiner Bibliothek verfügbar, sodass ich den Wälzer nicht kaufen musste – nachdem ich etwa zwei Monate lang auf der Warteliste stand, denn die Nachfrage ist weiter enorm: 35 eBook-Exemplare hat meine Bibliothek und darauf laufen Stand heute 141 Vormerkungen … Also schauen wir doch mal, was es mit Fourth Wing und seinem Hype auf sich hat.

Spoiler: Ich habe Band 2 schon vorgemerkt!

Mein erster Eindruck von Fourth Wing war gut – und das blieb bis zum Ende überwiegend so. Das erste Kapitel wirft uns Lesende direkt ins kalte Wasser und erst mit der Zeit beginnen wir, die Zusammenhänge und Weltstrukturen zu begreifen. Es stört jedoch nicht das Verständnis der Konflikte unserer Hauptfigur Violet. Im Gegenteil hätten mich ein langer Prolog und viel Erklärung am Anfang wahrscheinlich eher gestört.

Die zwanzigjährige Violet hat sich ihr Leben lang auf ein Leben als Schriftgelehrte vorbereitet und es stand für sie gar nicht zur Debatte, dass sie irgendwann den Drachenreitern beitreten könnte, der elitären Kriegerklasse am Basgiath War College. Ihr Körper ist aufgrund angeborener Eigenschaften schwach und in dem Zustand nicht für den Kampf geeignet, Töten widerstrebt ihr und überhaupt hatte sie eigentlich nicht vor, den gefährlichen Wettkampf um die wenigen Drachen anzutreten. Ihre mächtige Mutter entscheidet wie immer über Violets Kopf hinweg und auf einmal sieht ihr Leben ganz anders aus. Es ist wenig überraschend, dass sie bis dahin einen Drang zur Selbstbehauptung und den starken Willen, ihre eigenen Entscheidungen nicht von anderen Menschen treffen zu lassen, entwickelt hat.

Violet eckt also in ihrer neuen Umgebung schon durch ihre eigenen Merkmale überall an. Dazu kommt die jüngere Geschichte des Landes und die Beteiligung ihrer Mutter an bestimmten einschneidenden Momenten. Kurzgefasst hatte Violet schon Feinde, bevor sie das War College betreten hat und danach wurden es eher mehr statt weniger. Sie knüpft ein paar wenige Freundschaften, wird aber auch schnell mit ihrem Erzfeind konfrontiert: während Xadens Vater Violets Bruder getötet hat, wurden Xadens Eltern wiederum von Violets Mutter hingerichtet und beide können es kaum erwarten, sich dafür aneinander zu rächen. Zu dumm, dass Xaden äußerst attraktiv ist und auch Violet ihn nicht kaltzulassen scheint.

Auch, wenn es nicht die komplexeste Welt ist (jedenfalls in Fourth Wing – es sieht so aus, als ob da noch wesentlich mehr in den Fortsetzungen käme) und auch, wenn die Liebesgeschichte dem beliebten Enemies-to-Lovers-Trope folgt, ohne dass die Autorin den damit vorgegebenen Weg der Beziehung ihrer Hauptfiguren besonders kreativ gestaltet hätte, hat es mir Spaß gemacht der Entwicklung zu folgen, mit Violet zu wachsen und die Spannungen zwischen die einzelnen Charakteren mitzuerleben. Es wird genau die richtige Prise Geheimnis und Mysterium über die einzelnen Story-Elemente gestreut, während nach und nach andere Details aufgedeckt oder Zusammenhänge erklärt werden, sodass es durchgehend interessant bleibt.

Der Klappentext hat mich befürchten lassen, dass wir es bei Fourth Wing mit einer neuen Harry-Potter-Variante zu tun hätten, nachdem der Aspekt des Internatslebens so betont wurde – so ähnlich, wie es bei dem Kinderbuch Smaragour war, nur vielleicht nicht so extrem. Doch obwohl einzelne Lehrinhalte beschrieben werden und die Handlung durchaus irgendwie der Struktur eines Schuljahres inklusive Prüfungen folgt, fühlt es sich nicht danach an. Vielmehr ist Violets Entwicklung entscheidend für den Fortgang der Geschichte.

Es wird an mehreren Stellen eine Redensart erwähnt, sinngemäß etwa: Wenn man nach Basgiath kommt, werden alle Schichten von einem abgetragen und das, was man im Kern wirklich ist, tritt zum Vorschein. Genauso verändert sich auch Violet und es hat mir wirklich gut gefallen das zu beobachten. Sie ist keine starre Figur, in eine Genre-Schablone gepresst, sondern eine junge Frau, die mit ihren Aufgaben wächst. Genauso sind auch ihre Freunde und Feinde. Sie verändern sich mit der Zeit und wer am Anfang Freund ist, bleibt das vielleicht nicht bis zum Ende – und umgekehrt. Diese Vielschichtigkeit und die Flexibilität von Beziehungsformen ist meiner Meinung nach gut umgesetzt und macht – neben den Drachen natürlich – den größten Reiz von Fourth Wing aus.

Fourth Wing ist mit seiner Selbstverständlichkeit von Gewalt, Tod und fantastischen Elementen für mich auf den ersten Blick eine Mischung aus Veronica Roths Die Bestimmung (besonders die anfängliche Szene mit dem Viadukt brachte Erinnerungen an Tris‘ Einführung in ihre neue Gruppe zurück), Richelle Meads Vampire Academy oder Jennifer Esteps Mythos Academy mit ihrem Internats-Feeling und Licia Troisis Die Drachenkämpferin.

Ein wichtiger Unterschied zwischen Fourth Wing und vielen anderen Romantasy-Büchern, die momentan im Trend sind, ist für mich das Alter der Hauptfiguren: Violet und Xaden und auch all ihre Freunde sind volljährig. Sie dürfen und können (mit wenigen Ausnahmen) ihre eigenen Entscheidungen treffen; die Gewalt, die ein Buch über Drachenreiter und Grenzkriege mit sich bringt, ist in dieser Altersgruppe passend und auch körperliche und sexuelle Erfahrungen und Beschreibungen sind stimmig.

Es geht bei Violet und Xaden nicht um erste Liebe oder den ersten Sex, sondern um das erste Mal zusammen. Beide sind nicht unerfahren und beide wissen, was sie wollen. Consent ist vorhanden. Es ist schade, das so sagen zu müssen, aber das ist in aktuellen Hype-Büchern wirklich nicht die Norm und es deshalb wert, das hervorzuheben.

Und obwohl es zwischen den beiden so heiß her geht, dass buchstäblich die Funken fliegen (bei diesem Hype um Fourth Wing, insbesondere auf TikTok, wenig überraschend), obwohl viele Faktoren gegen eine Beziehung sprechen – allem voran ihr Status als Erzfeinde und ungelöste Rachefantasien auf beiden Seiten – wirkte es auf mich sehr natürlich, wie sie zusammenkamen. Der erste Eindruck kann täuschen, und mit diesem Element wird hier viel gespielt.

Der Schreibstil ist angenehm zu lesen, Autorin und Übersetzerin haben einen guten Job gemacht. An weniger Stellen als erwartet wirkte es aber ein bisschen wie nicht überarbeitete Wattpad-Texte: sich wiederholende Phrasen und Beschreibungen und ein, zwei Logikfehler sind mir aufgefallen. Das Ergebnis des Lektorats hat mir auch nicht so gut gefallen. Ja, wenn ein Buch fast 800 Seiten hat, dann kann da schon einmal etwas durchrutschen, aber wenn ich in jedem dritten Kapitel über zwei Grammatikfehler stolpere oder wenn es tatsächlich passiert, dass zwei Namen wichtiger Personen vertauscht werden, dann sieht das nicht nach sorgfältiger Überarbeitung aus. Ich hoffe, dass diese Fehler in späteren Auflagen der Print-Ausgaben korrigiert wurden und dass sie irgendwann Eingang in die eBook-Version finden werden.

Fazit

Insgesamt war Fourth Wing für mich eine gute Unterhaltung, die mich zwar nicht in einen solchen Hype versetzt, wie der Trend erwarten ließ, aber das Buch habe ich trotzdem innerhalb weniger Tage beendet und mir direkt den zweiten Band Iron Flame bei der Bibliothek vorgemerkt. Ich mag den Weltenbau, die Gestaltung der Beziehung von Drache und Mensch und die Chemie zwischen den beiden Hauptfiguren. Auch die Nebenfiguren, die Freundeskreise haben es mir angetan.

Besonders gut gefällt mir das kleine aber unfassbar wichtige Detail, dass die Hauptfiguren erwachsen sind – es hätte genauso gut wieder einmal eine Siebzehnjährige sein können, die in eine erotisch aufgeladene Fantasy-Situation stolpert, nur dass dann viele Szenen einfach nicht okay gewesen wären. Fourth Wing löst dieses Genredilemma gut und hat damit meine Erlaubnis, so spicy zu sein wie es will. Dass das Buch trotzdem noch in einem gewissen Rahmen bleibt und nicht in diverse kinks ausartet, finde ich für eine Geschichte, die eigentlich Fantasy sein möchte, super.

Negativ aufgefallen ist mir eigentlich ausschließlich das lückenhafte Lektorat bzw. das Ergebnis der Textüberarbeitung. Fehler in Grammatik, Schrift oder sogar inhaltliche Verwechslungen sollten nicht vorkommen. Das legt für mich die Vermutung nahe, dass man die Übersetzung des Buches, das schon im englischen Original auf Social Media Hypes ausgelöst hat, rasch über die Bühne und Fourth Wing auf den Markt bringen wollte und dabei die Priorität auf Schnelligkeit statt Qualität verschoben hat.

Wie gesagt, das ist nur eine Vermutung und es ist absolut möglich, dass es im Print inzwischen ganz anders aussieht (es ist schon die 10. Auflage). Dass das eBook, das am einfachsten zu korrigieren wäre, aber immer noch diese Mängel hat, macht mich etwas unzufrieden, zumal mir solche Fehler beim Lesen auffallen und ich mich dann schon sehr daran störe. (Aktuell lese ich Five Broken Blades, wo es leider auch oft vorkommt, aber das gehört in die Rezension zu dem Buch, nicht zu Fourth Wing.)