Liebe für Zimmerpflanzen

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anne_kaffeekanne Avatar

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Verschlungen wie siamesische Zwillinge trotzen Oksana und Lena dem öden Leben im Petersburger Vorort Krylatowo.
Doch dann entflieht Oksana ihrer Nähe, um in China als Model zu arbeiten. Oksana versucht ihren Schmerz zu betäuben und stößt dabei auf ein Diätforum, dass nur Rezepte auf Basis der Speisen zulässt, die zur Zeit der Leningrader Blockade verfügbar waren. Sie stürzt sich in die Recherche der Zubereitungsmöglichkeiten von Wildlederschuhen, Tapetenkleisterbrei und Schulranzen, während Oksana sich um einen Weg aus dem vorgezeichneten Leben bemüht, bevor ihr „Haltbarkeitsdatum“ abgelaufen ist.


„Ständig sagte man Oksana, dass die Jugend die glücklichste Zeit des Lebens sei. Aber das konnten nur Menschen behaupten, die vor langer Zeit jung gewesen waren und vergessen hatten, wie das war.“


Meine Meinung:
Der Klappentext klingt etwas seltsam. Tatsächlich wirkt die Mischung aus historischen Fakten zum Hungern unter der Leningrader Blockade mit dem Hungern für Schönheitsideale etwas abstrus. Die Autorin umschifft diese Klippe jedoch gekonnt, indem sie das Thema sehr feinfühlig und respektvoll behandelt und tatsächlich funktioniert es. Die Sorgen und Nöte der selbstbezogenen Teenager voller Geltungsdurst, Lebenshunger und Unsicherheit treten wie unter dem Brennglas hervor. Gleichzeitig wirken die vorkommenden Erwachsenen auch nicht sehr lebenstauglich. Dies nutzt die Modeindustrie aus, indem sie aus den Aufstiegsträumen der Mädchen den maximalen Profit schlägt. Für junge Mädchen mit Ambitionen eine Modelkarriere zu wagen definitiv ein sehr abschreckendes Beispiel.
Ich habe das Buch innerhalb kürzester Zeit verschlungen, nachdem ich das erste Misstrauen gegenüber dem Thema abgelegt hatte.
Wlada Kolosowas Stil ist eindringlich. Kein Wort ist zu viel. Die Figuren sind vielschichtig und liebevoll gezeichnet, mit vielen Ecken und Kanten ausgestattet und vor allem werden sie trotz ihrer oft impulsiven und zerstörerischen Handlungen immer ernst genommen.
Mich hat die Schreibweise an Alina Bronsky erinnert. Die Umgebung der Mädchen ist trostlos und doch blitzen ab und an Zärtlichkeit, Humor und Unbeugsamkeit gegenüber den widrigen Umständen auf. Ein eindringliches Portrait zweier Mädchen, die, konfrontiert mit den Zwängen der Gesellschaft, ihren eigenen Weg finden müssen und gleichzeitig eine pragmatische Reflektion über das Wesen der Liebe.