Mehr Pep für Thomas Andreasson

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singstar72 Avatar

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Alle Achtung, Viveca Sten hat sich offensichtlich Gedanken gemacht, wie man die Krimireihe neu beleben könnte. Bisher waren es recht solide, auf jeden Fall sympathische Krimis, die sich um Thomas Andreasson, seine Jugendfreundin Nora Linde, und die schwedischen Schäreninseln drehten. In diesem Band fährt die Autorin nun ganz neue Geschütze auf - der Krimi wird zum beinharten Thriller. Und das ist ihr ziemlich gut gelungen!

Der Anfang des Buches kommt noch recht behäbig daher. Man erfährt viel über die aktuellen Lebensumstände der Protagonisten. Und auch die Schilderung der misshandelten Ehefrau, und ihrer Gewissensbisse, kommt eine Spur klischeehaft daher. Doch spätestens ab der Mitte nimmt das Buch Fahrt auf. Es geht um die Jagd nach Mina und ihrem Kind. Wer bekommt sie zu fassen? Der Grobian von Ehemann? Oder kann sie die Polizei doch beschützen? Im letzten Drittel mochte ich das Buch fast gar nicht mehr aus der Hand legen, so stark zog die Spannung an. Und besonders schön finde ich, dass das Ende – durch den Epilog – ein klein wenig offen gelassen wurde…

Es geht also zu keinem Zeitpunkt um die Aufklärung eines Verbrechens. Wer der Bösewicht ist, steht von Anfang an fest. Es kommen zwar Todesfälle vor, aber die dienen dazu, die Spannungsspirale weiter nach oben zu schrauben. Dabei schafft es die Autorin durch kurze Kapitel, schnelle Schnitte und geschickt gestreute Andeutungen, den Leser oftmals im Ungewissen zu lassen. Das steht amerikanischen Exemplaren des Genres teilweise in nichts nach.

Trotzdem habe ich Kritikpunkte, wodurch ich am Ende „nur“ vier Sterne vergebe. Erstens einmal weicht das Buch vom Prinzip ab, dass Thomas Andreasson der verantwortliche Ermittler ist. Er kommt in diesem Band nur am Rande vor; die entscheidenden Schritte unternimmt diesmal Nora Linde, die Staatsanwältin geworden ist. Zweitens, ich habe „Bauchschmerzen“ bei den Rückblenden, die in Bosnien spielen. Sicher, es ist ergreifend zu lesen, wie der Balkankrieg aus der Sicht eines Kindes gewirkt haben muss. Aber – ich empfinde es als wesentlich zu kurz gegriffen, und außerdem in heutiger Zeit als „politisch unkorrekt“, so zu tun, als ob Einwanderer und Flüchtlinge quasi automatisch zu Verbrechern werden… hier hätte mich vielmehr interessiert, wie das Leben von Andreis Kovac nach (!) der Flucht nach Schweden verlaufen ist.

Drittens, ganz zum Schluss gibt es ein paar logische Schwachstellen, die ich hier natürlich nicht näher erläutern kann, ohne Entscheidendes zu verraten. Manches im Verhalten der verfolgten und misshandelten Ehefrau hat mir zum Beispiel nicht recht eingeleuchtet. Warum nur wechselt sie zum Kuckuck niemals das Handy, und bleibt so immer für ihren gewalttätigen Ehemann erreichbar?? (Um nur einen Aspekt zu nennen.)

Insgesamt empfinde ich das Buch als wohltuend anders innerhalb der Reihe; sehr spannend aufgebaut, und auch auf der persönlichen Ebene befriedigend – was also das Leben der Protagonisten angeht. Die von mir aufgeführten Kritikpunkte kann man vermutlich „überlesen“ - aber mir war es wichtig, sie zu erwähnen.