Enttäuscht

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lapidar Avatar

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Vorab: dies ist nur meine persönliche Meinung. Der Aufbauverlag überließ mir freundlicherweise ein Leseexemplars des Romans „Flucht nach Patagonien“ von Jana Revedin.
Ich hatte mich um ein Leseexemplar beworben, weil mich das Cover ansprach und der Titel. Eine Dame ist zu sehen, an einer Reling. Sie winkt einem vorbeifahrenden Ozeandampfer zu. Das Ganze ist in Schwarz-Weiß gehalten und versetzt mich emotional in die dreißiger Jahre.
Den Titel fand ich spannend: Patagonien ist ja gedanklich schon sehr weit weg.
Wie ich aus Klappentext und Leseprobe erfuhr, sollte es in dem Roman um die biographische Aufarbeitung der Flucht eines gewissen Jean-Michel Frank und seiner Gönnerin Eugenia Errázuriz gehen, die sich nach Patagonien begaben, um der Judenverfolgung zu entkommen.
Ich hatte bis dato weder von Frau Errázuriz noch von Jean-Michel Frank gehört oder gelesen, um so gespannter war ich, etwas aus dieser Epoche und über diese Personen zu erfahren.
Jean-Michel Frank ist, wie ich nun weiß, ein sehr bedeutender Möbeldesigner, der in den 1920ern und 1930ern in Paris ansässig war und einen besonderen Stil der Inneneinrichtung entwickelte. Seine Möbeldesigns werden noch heute gebaut.
Spannend fand ich, dass ungefähr zu der Zeit, als ich das Buch startete, in Arte eine Filmbiografie über genau diesen Möbeldesigner lief. Diese Sendung befasste sich vor allem mit seinen Möbeln und weniger mit der Zeit, die Frau Revedin in ihrem Roman bearbeitete. War aber für mich zumindest eine gute Ergänzung.
Eugenia Errázuriz, war eine bekannte Mäzenin, die viele bedeutende Künstler ihrer Zeit förderte. Darunter Coco Channel, Pablo Picasso, Jean Cocteau und eben auch Jean-Michel Frank.
Der Roman beginnt mit der Schiffsreise von Eugenia und Jean-Michel nach Argentinien. In Rückblenden wird der Leser sozusagen auf „Stand“ gebracht, über Jean-Michels Kindheit, Jugend und Entwicklung informiert, bis hin zu dem Moment, da er sich an Bord begibt, um nach Patagonien zu reisen.
Offizieller Grund der Reise ist ein spezielles Hotel mitten in der Wildnis Patagoniens, dass er einrichten soll für seine Gönnerin. Aber vor allem geht es darum, den homosexuellen und jüdischen Jean-Michel vor den Nazis in Sicherheit zu bringen.
Die Erzählweise ist sehr introvertiert und beschaulich.
Anfangs fand ich dies noch ganz angenehm, allerdings wurde der Schreibstil mir persönlich nach ungefähr fünfzig Seiten dann doch zu langatmig.
Im Klappentext klang das alles noch recht spannend. Aber die Figuren erwachen für mich nicht zu Leben. Sie bleiben zweidimensional und auch die Bedrohung durch die Nazis ist für mich zwar intellektuell erfassbar aber emotional bleibe ich als Leserin außen vor. Weder Jean-Michels schwere Depressionen, seine Ängste und Niederlagen, noch seine Erfolge bringen mein Herz in Wallung.
Das Buch hätte faszinierend sein können, aber hat mich persönlich enttäuscht.
Es gibt sehr viel Namedropping. Jean-Michel Frank war ein Zeitgenosse von Cocteau, Picasso, Mrs Erhardt, und er war nahe verwandt mit Anne Frank.
Ich habe immer wieder in Wikipedia nachgeschlagen, um mir ein Bild über die Personen machen zu können, die in dem Buch erwähnt wurden und mit denen Eugenia und Jean-Michel interagierten. Dadurch wurden für mich einige Dinge klarer, im geschichtlichen Zusammenhang, aber nicht durch das Buch selbst.
Frau Revedin hat sehr sorgfältig recherchiert, wie aus ihrem Quellenverzeichnis hervorgeht und aus ihrem Dankeswort am Schluss. Leider empfand ich den Roman mehr wie eine Nacherzählung und nicht wie einen Roman.
Unter einem Roman stelle ich mir eine Geschichte vor, die Handlung und Spannung trägt.
Natürlich ist es wichtig, sich bei einer historischen Persönlichkeit an die Realität zu halten, aber ein Roman, sollte dann doch auch irgendwie spannend sein. Das Leben und die Taten dieses Mannes waren dies. Hat er doch zum Beispiel einen Großteil seiner Einkünfte dazu verwandt, möglichst vielen Menschen die Flucht vor den Nazis zu ermöglichen.
Er litt unter Angstzuständen und Suchtproblemen und beginn zuletzt Selbstmord.
All diese Informationen wurden in dem Buch integriert, aber in einer Weise, die leider mich als Leserin nicht mitgerissen hat. Es las sich teilweise so spannend wie eine Hagiografie.
Irgendwo mitten in Patagonien habe ich dann das Lesen abgebrochen und diese sicherlich spannende Persönlichkeit mitten in Argentinien gestrandet verlassen.