Ein stilles und poetisches Buch

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Von

FLUSSLINIEN
Katharina Hagena

„Alt sein ist oft wie Kind sein, bloß ohne dabei noch irgendwen zu entzücken.“ (S. 24)

Die 102-jährige Margrit Raven lebt in einer Seniorenresidenz direkt an der Elbe. Sie weiß, dass ihre Zeit bald abläuft – und begegnet dieser Tatsache mit einem feinen Sinn für Humor. Während ihr Körper dem Alter unterliegt, ist ihr Geist jung geblieben. Täglich besucht sie den Römischen Garten, den einst Else Hoffa, die Geliebte ihrer Mutter, angelegt hat. Hier erinnert sie sich an ihr bewegtes Leben, an ihre Mutter, die beim Bombenangriff auf Hamburg-Altona ums Leben kam, an vergangene Lieben und an ihre Familie.
Regelmäßig bekommt sie Besuch von ihrer Enkelin Luzie. Margrit liebt die 18-Jährige sehr, auch wenn ihr Herz schwer ist: Luzie hat gerade die Schule abgebrochen. Eigentlich wollte diese ihre letzten Schuljahre bei ihrem Vater in Australien beenden – doch ein Vorfall zwang sie zur vorzeitigen Rückkehr. Und ein weiterer hinderte sie daran, in ihrer alten Schule das Abitur wieder aufzunehmen. Nun möchte Luzie Tätowiererin werden – und findet in ihrer Großmutter eine Unterstützerin. Das ist doppelt praktisch, denn Luzie hat derzeit kein festes Zuhause und kann die Zeit so bei ihr verbringen.

In der Residenz trifft Luzie auf Arthur, den jungen Fahrer des Hauses. Auch er trägt schwer an seiner Vergangenheit. Einst war er begeisterter Taucher – gemeinsam mit seinem Zwillingsbruder. Die beiden waren unzertrennlich, entwickelten sogar gemeinsam Fantasiesprachen, die sie an die Medienwelt verkauften. Doch ihre innige Verbindung wurde ihnen zum Verhängnis.

Drei Menschen, drei Schicksale – alle auf der Suche nach Halt, damit sie nicht von der Strömung ihrer Gefühle mitgerissen werden.

Katharina Hagens Figuren könnten unterschiedlicher kaum sein – und gerade diese Gegensätze machen Flusslinien so vielschichtig. In ruhigem Tempo entfaltet sich nach und nach das Schicksal jeder Hauptfigur, bis sich am Ende ein stimmiges Gesamtbild ergibt. Nicht alles wird dabei vollständig aufgeklärt – etwa bleibt Luzies Mutter eher blass im Hintergrund. Besonders berührt hat mich jedoch der historische Teil rund um Margrits Mutter und deren Geliebte Else Hoffa – diese Geschichte ist atmosphärisch dicht und mitreißend erzählt.

Flusslinien ist ein stilles, poetisches Buch mit kleineren Längen, das mich als Hamburger und Elbeliebhaberin dennoch überzeugt hat.
4/5