Sprache verbindet

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loreley Avatar

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Hoch über der Elbe befindet sich der Römische Garten. Hier kann man verweilen, auf den Fluss sehen und die vorbeifahrenden Containerschiffe betrachten. Hierhin lässt sich die hochbetagte Margit fahren, bleibt jeweils eine Stunde, um nachzuspüren und in sich hineinzuhorchen. Sie kann kaum noch hören, behauptet jedoch noch besser zu verstehen, wenn sie die Hörgerät ganz entfernt um in sich hineinzuhorchen.

Stille und Verstummen sowie Sprache, die wieder in Fluss kommt, sind tragende Elemente des Romans. Denn auch Enkelin Luzie ist erstarrt und ihre Sprache ist ins Stocken gekommen. Sie wurde vergewaltigt, ihre verbale Abwehr wurde vom Täter nicht gehört und nachdem auch ihr Umfeld sie mundtot gemacht hat, zieht sie sich in sich selbst zurück. Arthur, der die Senioren von Margits Seniorenresidenz fährt, hat ein ambivalent Verhältnis zur Sprache. Ähnlich wie Tolkien das Elbisch erfunden hat, erfindet Arthur Fantasiesprachen für Computerspiele. Wer bei "Elbisch" übrigens hier an "Elbe" denkt, liegt richtig. Katharina Hagena hat viele Passagen mit Wortwitz garniert (so bezeichnet Arthur die Gehhilfe von Margit z.B. als Rollarthur). Die Sprache der Autorin ist vielfältig und strömt eben genauso wie die Elbe; mal schnell, mal langsam, mal überbordend, mal staut es sich ein wenig.
Sprache ist das Element, das nicht nur die drei Protagonisten, sondern die Menschen generell und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verbindet.

Margit ist am Ende ihres Lebens angekommen. Als ehemalige Sprach- und Atemtherapeutin weiß sie, dass Stillstand Tod bedeutet. Dennoch sucht sie bereits kurze Augenblicke der Stille und hält inne, erinnert sich an ihre Vergangenheit, den Krieg und die lesbische Beziehung ihrer Mutter. Ungesagtes kommt an die Oberfläche und bekommt seinen Raum. Enkelin Luzie darf ebenfalls schweigen. Katharina Hagena lässt sie kurz vorm Abitur die Schule abbrechen und Tätowiererin werden. Dort, wo das Trauma ihr die Zunge lähmt, teilt sie sich sensorisch über die Haut mit. Nach und nach verlässt sie ihre Erstarrung und öffnet sich. Fahrer Arthur, der mit einem Metalldetektor den Elbstrand absucht, hat Schuld auf sich geladen und sich somit von sich selbst entfremdet. Die fehlende Verbindung zu sich selbst zeigt sich durch die Fantasiesprache; auch er öffnet sich nach und nach.

"Flusslinien" ist eine vielschichtige, teilweise witzige, intelligente und subtile Geschichte, die nah am Zeitgeist ist. Ich liebe es, dass die Autorin so kraftvolle und doch zarte Charaktere geschaffen hat. Ihre Liebeserklärung an die Sprache ist wunderschön und das Buch werde ich sicherlich noch häufiger lesen.