Ein antipsychologischer Roman

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„(…) die Frage, warum einer tut, was er tut, ist nicht so wichtig (…) Es kann sich niemand vorstellen, dass einer etwas tut und keinen Grund dafür hat. Das will sich niemand vorstellen“ (S. 86).

Diese Textstelle macht in meinen Augen deutlich, was den Roman „Frankie“ von Michael Köhlmeier ausmacht. Ich würde dieses Werk als einen antipsychologischen Roman bezeichnen, einen Roman, in dem viele Leerstellen bleiben. Leerstellen, die vom Leser selbst gefüllt werden müssen, auf die es keine Antwort gibt. Darauf sollte man sich bei der Lektüre dieses Werks einlassen wollen. Es wird sicherlich nicht jedem Leser zusagen, und auch mir war die Offenheit tatsächlich etwas zu groß. Ein paar mehr Dinge hätte ich schon noch gern erfahren (z.B. über die Beziehung zwischen Frankies Großvater und dessen Tochter etc.). Aber nun gut, es ist, wie es ist. Köhlmeier hat es getan. Fertig. Kein Warum, kein Weil. Er hat getan, fertig aus (Achtung, intertextuelle Referenz).

Was diesen Roman ausmacht, ist darüber hinaus auch die Ausgestaltung der Mutter-Sohn und der Enkel-Großvater-Beziehung. Es gibt einen deutlichen Kontrast zwischen der innigen Mutter-Sohn und der schroffen Enkel-Großvater-Beziehung. Frankies Opa wirkt forsch und direkt, er ist das Gegenteil von sanftmütig und verständnisvoll, Frankie ist von ihm eingeschüchtert. Eine große Angst des Opas: bloßgestellt zu werden. Darauf reagiert er aggressiv. Seine Selbstunsicherheit wird gut deutlich. Und er überschreitet dabei Grenzen, wird ausfallend und teilt auch aus. Er hat seine Emotionen nicht im Griff. Und die zwischenzeitlichen Annäherungen von Großvater und Enkel sind nie von Dauer, sie sind äußerst brüchig. Und eine große Frage, die im Raum steht: Was hat Frankies Großvater eigentlich für eine Tat begangen? Warum saß er 18 Jahre im Gefängnis? Und was hat er nun eigentlich vor?

Erzählt wird aus der Perspektive des 14-jährigen Frankie. Doch sein Sprachduktus und auch seine Erfahrungswelt entsprechen in meinen Augen nicht konsequent denen eines Jugendlichen. Auf mich wirkt Frankie wie ein Anachronismus, irgendwie aus der Zeit gefallen. Ob das nun absichtlich oder irrtümlich so gestaltet worden ist, wer weiß, wer weiß.

In sprachlicher Hinsicht sind die verwendeten Sätze der gesprochenen Sprache angenähert, oft sind die Konstruktionen ungelenk, auch mal umständlich. Eine Auffälligkeit sind zudem die zahlreichen Wiederholungen, die vor allem bei der Sprechweise des Opas deutlich werden, dadurch erscheint er verunsichert („Hat sie das gesagt? Sicher hat sie das gesagt. Ich sehe dir an, dass sie das gesagt hat“, S. 45), nicht wie eine starke Figur, die auch einmal seinem Enkel gegenüber gewalttätig wird. Ein schöner Kontrast!

Fazit: Ein Roman, der einmal einen anderen Weg einschlägt und zentrale Details auslässt. Hier wird es einmal nicht psychologisch, Leerstellen und Interpretationsspielraum entstehen. Darauf muss man sich einlassen wollen. Für mich war es insgesamt dann aber doch zu offen, deshalb ziehe ich einen Stern ab. 4 Sterne von mir!