Frau Ellas Abenteuer

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karschtl Avatar

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Frau Ella muss eine sehr sehr liebenswerte Person sein, sogar mit nur einem Auge. Denn wo sie geht und steht trifft sie auf nette hilfsbereite Menschen jeden Alters. Ein bißchen ungewöhnlich für unsere heutige Gesellschaft möchte ich meinen. Aber vielleicht will der Autor ja auch gar nicht die Wirklichkeit widerspiegeln sondern eine Gesellschaft, wie er sie sich wünscht. Wo jeder nett zu 87jährigen Damen ist, keiner doof schaut wenn sie nur in Nachthemd bekleidet die kalte Nacht in einsamen Parks verbringen - oder auch im Asia-Minimarkt. Oder wo junge Herren ihr schicke Kleider in teuren Boutiquen spendieren, und dazu eine echte 'Landpartie' mit feinen Speisen und Bootsausflug.

Das Durchhaltevermögen der guten Frau in der Woche mit ihrem neuen Pensionswirt hat mich auch beeindruckt, mit 87 braucht man ja doch auch mal Ruhepausen. Vor allem wenn man so ein spritziges Leben längst nicht mehr gewöhnt ist. Ich glaube, Frau Ella ist seit dem Tod ihres Stanislaws vor 20 Jahren kaum aus ihrer Wohnung rausgekommen. Umso mehr genießt sie natürlich das, was ihr das Leben auf die alten Tage noch zu bieten hat und sagt an einer Stelle sogar, dass sie sich nicht erinnern kann ja soviel Spaß wie am heutigen Tage gehabt zu haben. Das sagt wohl auch einiges aus über ihr bisheriges Leben, das aber sicherlich keineswegs wirklich schlecht war. Nur halt anders. Weniger spontan sicherlich, weniger freudvoll.
Andererseits gibt es dann besonders im letzten Drittel Momente, wo Frau Ella dieser ganze Trubel zu viel ist und sie sich nach ihrer kleinen Wohnung und ruhigem Balkon sehnt. Auch verständlich, wenn so viele Dinge auf einmal auf einen niederprasseln, so dass man die kaum mehr zuordnen kann.

Obwohl ich noch nie in meinem Leben eine Operation über mich ergehen lassen musste, geschweige denn im Krankenhaus lag, kann ich doch recht gut nachvollziehen wie Ella Freitag sich fühlte, als sie in eine OP - die sie für überflüssig + noch dazu lebensgefährlich hält - reingedrängt wird. Meine Großmutter ist über 80 und hat kürzlich auch eine Augen-OP über sich ergehen lassen, die so ziemlich null gebracht hat außer viel Aufregung. Sie kann genauso wenig sehen wie vorher. In diesem Fall hätte man sich den ganzen Aufwand und Zusatzbelastung für Körper & Seele wirklich sparen können. Aber manchmal weiß ja auch so ein Arzt nicht, was eine Behandlung bringen würde und möchte daher alles mögliche probieren.

Am Ende hab ich zu 50% mit einer Re-union ihrer Jugendliebe gerechnet. Ob diese wirklich passiert - das müsst ihr selbst lesen. Ein schöner Roman, der einen etwas darüber nachdenken lässt wie man 1.) selbst mit der älteren Generation umgeht (und dass diese durchaus sehr hell und zurechnungsfähig sind, auch wenn man denkt dass sie von den 'neumodernen Kram' eh keine Ahnung mehr haben) und 2. wie es einem vielleicht selbst gehen wird, wenn man älter wird/ist. Für mich trifft momentan ersteres zu, aber hoffentlich werde ich 2. auch noch erleben können.

Ich zumindest hatte viel Freude, von einer Woche im Leben von Frau Ella lesen zu können. Obwohl wir im Buch ja abwechselnd mal aus ihrer Sicht, mal aus der Sicht ihres Gastgebers Saschae die Geschehnisse betrachten so ist doch für mich unbestritten Frau Ella die Hauptperson. Nicht zuletzt ist sie zumindest die Titelgeberin. Wer den Film "Harald & Maude" mochte, sollte vielleicht auch zu diesem Buch greifen (obwohl zugegebenermaßen die Geschichte eine komplett andere ist). Sprachlich war nichts auszusetzen, das Buch lies sich äußerst flüssig und rasch. Nur einige Redewendungen, insbesondere von Klaus, die wohl stellvertretend für die jüngere Generation sein sollten fand ich daneben. So redet im wirklichen Leben keiner - so denken anscheinend nur immer die Autoren, dass die Jugend so reden würde und so schreibt einer vom anderen ab.

Das Cover fand ich nach der Leseprobe sehr schön und ansprechend. Jetzt nachdem ich das gesamte Buch gelesen habe frage ich mich dann doch: hat der Illustrator das Buch auch gelesen, oder wurde ein fertiges Bild mit einer alten Dame einfach hergenommen? Oder hat der Lektor kurzfristig ein paar Stellen gestrichen, die aber just am Cover nun dargestellt sind (sowas kommt ja häufiger in Kino-Trailern vor, dass da Szenen zu sehen sind, die es später gar nicht mehr in den fertigen Film schaffen). Das hat mich zumindest ein wenig verwirrt. Ansonsten finde ich die Aufmachung des Buches sehr schön. Handliches Format und irgendwie süß, so ein kleines Flex-Cover-Büchlein, das gern ein Hardcover geworden wäre.