Zwei Einäugige ergeben einen Sehenden...oder wie war das?

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inishmore Avatar

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Zwei Einäugige ergeben einen Sehenden...oder wie war das?

 

 

Frau Ella und Sascha, beide aufgrund einer Augenverletzung temporär einäugig, treffen sich im Krankenhaus, nachdem Frau Ella in Saschas Zimmer einquartiert wird. Zuerst ist Sascha alles andere als begeistert, schließlich pupst die alte Dame und schnarcht wie ein Baumfäller. Als Frau Ella gegen ihren Wunsch am Auge operiert werden soll wird Sascha jedoch kurzerhand zum Held: er nimmt Frau Ella mit nach Hause, und aus dem kurzen Ausflug wird durch eine Verkettung von Ereignissen ein längerer Aufenthalt als zuerst gedacht. Und Saschas Freunde sind von Frau Ella, die soviel erlebt hat in ihrem Leben, ganz begeistert.

 

Dass sowohl Sascha als auch Frau Ella nur auf einem Auge sehen können wird zum Leitmotiv des Buches. Zusammen ergeben sie ein gesundes Paar Augen, die alles sehen können. Ist Sascha am Anfang noch genervt von Frau Ella, so finden beide, jung und alt, doch recht schnell heraus, dass sich die beiden Genartionen durchaus etwas zu geben haben. Sascha, jung und chronisch unglücklich, wird durch Frau Ellas fürsorgliche Art ein Stück erwachsen und Frau Ella wagt durch die neuen Eindrücke, die sie gewinnt, einen Ausflug in ein Leben, mit dem sie schon abgeschlossen hatte. Dass das nicht ohne Konflikte passiert ist vorprogrammiert, aber Beckerhoff versteht es, für beide Seiten so Partei zu ergreifen, dass weder die junge noch die altere Generation vorgeführt wird. Gerade bei den Exkursionen in Frau Ellas Gedankenwelt gelingt dem Autor das Kunststück, sich in die Lage der 87-jährigen zu versetzen und glaubhaft zu beschreiben, wie sich die Dame angesichts der schönen neuen Welt fühlen muss. Jung waren wir alle mal, aber 87 werden nur die wenigsten von uns. Die Passagen aus Frau Ellas Sicht sind das, was dem Buch Herz gibt.

 

Man hätte sich den Humor vielleicht etwas spitzer gewünscht, und auch die Konflikte hätten mit etwas mehr Schärfe sicher einen tieferen Eindruck hinterlassen. Nichtsdestotrotz ist „Frau Ella“ ein schöner Roman für den Balkon oder Garten und die Stunden, wenn man etwas lesen möchte, das einen mit einem guten Gefühl zurück lässt.