Der Countdown meiner Familie

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Jarawans Stil drückt sich in dieser Neuerscheinung vor allem in seinen Dialogen aus. Anders als in vielen anderen Familiensagas sind es weniger die Beschreibungen der Beziehungen zueinander, sondern vielmehr die Dialoge, die die Protagonisten charakterlich zeichnen. Beispielsweise wenn der ältere Maroun in seinem kanadischen Altersheim seiner Enkelin Lilit von früher erzählt, wechselt der Sprachklang von Nostalgie zu verspieltem Witz und kippt ab und an in philosophische Tiefe – ganz ohne Belehrung. Dann wieder erlebt Lilit im Libanon gänzlich andere sprachliche Hintergründe: eher kühl mit fordernder Unmittelbarkeit – genau so, wie es im politischen und kulturellen Aufbruch im Beirut dieser Zeit eben klingt.

Im Mittelpunkt von "Frau im Mond" steht immer ein Gespräch: Marouns Anekdoten über die Cedar Rakete 1966, Anoushs Erinnerung an ein verlassenes Waisenhaus, Lilits Interview mit Bekannten – hier prägen nicht die langen Erzählpassagen, sondern kurze, dialogstarke Einschübe.

Die Kapitel sind – in Anlehnung an einen Raketenstart - durch einen Countdown aufgebaut und doch erzählen die Dialoge nicht rückwärts. Der Wechsel zwischen Rückblenden und aktuellen Gesprächen wirkt durch die Dialoge überraschend wie verbindend. Szenen mit Maroun, Anoush oder den Zwillingen Lilit und Lina wechseln sich ab und machen die ganz eigene Dynamik dieses Buches aus.

Eingebettet werden die persönlichen Erinnerungen und Erfahrungen in komplexe Themenfelder wie das beginnenden Raumfahrtprogramm der Lebanese Rocket Society, der Völkermord an den Armeniern sowie weitreichend die wirtschaftlichen und politischen Krisen in Nahost. Um einzelne Protagnisten in diesen wirtschaftlich-politischen Rahmenbedingungen zu positionieren, bedarf es einer immensen Recherchearbeit des Autors. Er hat dafür meinen höchsten Respekt.