Die verworrenen Fäden der Familienvergangenheit

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bibkarl Avatar

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„Frau im Mond“ von Pierre Jarawan ist ein Roman über eine außergewöhnliche Familiengeschichte. Sie spielt in Kanada und im Libanon, umspannt mehr als 100 Jahre und drei Generationen. Im Montreal der Gegenwart erzählt Lilits Großvater seiner Enkelin von seinem Leben und seinem damaligen Traum, den Mond zu erreichen. Ihre frühverstorbene Großmutter hingegen war für sie schon immer wenig greifbar, da sie nie wirklich über ihre Flucht aus Armenien und die Zeit im Waisenhaus gesprochen hat. Daher begibt sich Lilit auf deren Spuren, um ihr näherzukommen und die Vergangenheit der Familie zu dokumentieren.

Das Buch ist wie ein kunstvoll gewebter Teppich (um bei den Motiven der Geschichte zu bleiben): Es verknüpft viele verschiedene Erzählstränge und Schicksale miteinander, sodass diese ein großes Ganzes ergeben. Da ist zum Beispiel die Geschichte der Geburt von Lilit und ihrer Zwillingsschwester, die sich an einem wichtigen Jahrestag ihres Großvaters Maroun ereignet. Oder ein mysteriöses Zeichen auf einem geschenkten Teppich, das schließlich auf einer Rakete den Weg ins Weltall findet.

Dabei geht es um Identität, Herkunft, Verlust, unwahrscheinliche Verbindungen und die Kunst des Geschichtenerzählens. Jarawan schafft es, Inhalte, wie den armenischen Genozid, den wirtschaftlichen Absturz des Libanon und persönliche Tragödien, realitätsnah und mit der nötigen Ernsthaftigkeit zu schildern, ohne dass das gesamte Buch zu schwer oder traurig wird. Denn es werden immer wieder auch schöne, berührende Momente hervorgehoben und die Erzählweise ist stellenweise humorvoll. Dabei verschwimmen gelegentlich die Grenzen zwischen den drei Erzählebenen, was zur Thematik des Filmemachens und der Überlieferung von Traditionen und Geschichten passt.

Gut hat mir gefallen, dass die Biografien der Großeltern beide erst nach und nach aufgedeckt wurden, sodass beim Lesen langsam ein Bild entstand. Die Lebensverläufe waren wendungsreich und überraschend und könnten dennoch wahr sein.

„Frau im Mond“ ist eine berührende, interessante Lektüre, die ich allen empfehle, die generationenübergreifende Familienromane mit bewegenden Schicksalen mögen.