Klassisch morden, modern geschrieben

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herr_stiller Avatar

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Das ging schnell. Bereits in der zweiten Zeile musste ich ein Wort googeln. Kein südkoreanisches Gericht oder Feiertag, nein, Mollusken. Nehm ich mit Humor, schließlich hab ich nicht Biologie studiert, sondern, ganz im Gegenteil, das Fach direkt nach der 11 abgewählt. Dabei ist der Vergleich ganz passend, aneinandergequetschte Weichtiere in einer U-Bahn, das kenne ich aus Köln, aber die Bilder von Zügen in Japan, die hier und da schon mal durchs Internet flimmern, wirken immer noch eine Spur krasser. Das Schöne ist: Direkt nach der kurzen Suchmaschinensuche bin ich so direkt drin in der Geschichte.

Eine junge Frau wird von einem mittelalten Mann in der U-Bahn belästigt. Er tippt sie an, dann schlägt er sie, weil sie einen Sitzplatz hat und er nicht, weil er ihr nicht abnimmt, dass sie schwanger ist, weil er einfach streiten möchte und weil er keine Achtung vor Frauen hat. Keiner greift ein, eine Frau bietet ihm seinen Platz an, wenige Stationen später steigt er aus - und bricht tot auf dem Bahnsteig zusammen. Ermordet. Von einer unauffälligen Frau, 65 Jahre alt, graue Haare, Typ typische südkoreanische Oma. Der Hauptfigur dieser Geschichte.

Hornclaw heißt sie, nennt sie sich, zumindest im Arbeitsalltag. Der nächste Abschnitt bringt sie den Leser:innen etwas näher, erfährt von ihrem Hund, von ihrem eigentlich ganz guten körperlichen Zustand, warum sie aber Fitnessstudios meidet. Und nebenbei etwas von dem Rollenbild südkoreanischer Frauen und davon, dass es schwer ist, Ruhe zu finden, ohne, dass etwas kommentiert ist, was sicher ein global gleich unangenehmes Phänomen ist und dass ihr Boss es kritisch sieht, dass sie im "Rentenalter" noch arbeitet. Aber ihr Job ist auch speziell: In ihrer Agentur schubst sie keine Pixel, schreibt sie keine Texte, sondern nimmt ihre Aufträge an. Aufträge als Auftragsmörderin.

Byeong-mo Gu hat einen sehr angenehmen Schreibstil, gut übersetzt von Wibke Kuhn. "Frau mit Messer" ist ganz ruhig, ganz behutsam, und lässt den Puls nur dann ansteigen, wenn unangenehme Dinge passieren, wie die Belästigung der jungen Frau in der Bahn, nicht aber beim Mord. Und es ist extrem modern: Worryfixer, ein*e Kolleg*in, ist geschlechtsneutral angelegt, noch extrem selten, aber sehr angenehm es hier zu lesen. Und es ist sicher spannend, diesen Roman in Gänze zu entdecken - nicht nur, da asiatische Romane gerade ganz hoch in meinem Kurs stehen.

Ach, eines noch: Mollusken war das einzige Wort, das ich nachschauen musste. Hätte ich mal Bio weitergemacht.