lesenswerte Spannung

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palatina Avatar

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Der Debütroman von Jessica Barry beginnt damit, dass ein Kleinflugzeug in der Wildnis irgendwo in den USA abgestürzt. Als Leserin wird man also mitten ins Geschehen geworfen.
In dem befand sich dem Vernehmen nach Maggies Tochter Allison. Schnell ist der Polizei klar, dass es wohl keine Überlebenden geben kann. Aber Maggie kann das nicht glauben und beginnt auf eigene Faust zu recherchieren. Sie möchte wissen, was ihre Tochter, zu der sie den Kontakt verloren hatte, zuvor gemacht hat und warum sie angeblich mit ihrem Verlobten Zeitgleich versucht die Tochter, die den Flugzeugabsturz eben doch überlebt hat, in der Wildnis zu überleben.
Allisons Geschichte, die abwechselnd in Rückblicken mal von der Mutter, mal von der Tochter erzählt wird, kommt, hat vordergründig etwas Klischeehaftes: gutbürgerliche Tochter aus langweiliger Kleinstadt arbeitet in der Großstadt, verliert ihren Job und gerät, weil sie sich aus Stolz nicht ihren Eltern anvertrauen möchte, aus finanzieller Not auf die schiefe Bahn. Ein gutaussehender Juppie aus die Welt der Schönen und Reichen rettet sie. Dann aber verliert sie sich bei all dem Blendwerk um sie herum und ihrer Liebe zum falschen Mann selbst aus den Augen. Erst als sie darauf gestoßen wird, dass der Mann, den sie liebt, vielleicht doch nicht der ist, für den sie ihn hält, beginnt sie, sich selbst wiederzufinden.

Dass dieser Thriller aber alles andere als bloßes Klischee ist, verdankt er der mitreißenden Sprache und Zeichnung der Figuren. Atmosphärisch dicht taucht man direkt ein in die Gedanken- und Gefühlswelt der Mutter Maggi und der Tochter Allison. Beide erzählen abwechselnd, wobei sie sich räumlich und zeitlich aufeinander zubewegen. Besonders die Gefühls- und Gedankenwelt von Maggie ist dabei stellenweise grandios erzählt.

Während der Albtraum der Mutter, deren Tochter Allison bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen ist, im Präteritum erzählt wird, ist Allisons Kampf ums Überleben nach dem Flugzeugabsturz im Präsens geschrieben. Beiden gemeinsam sind Erinnerungsfragmente, die durch Assoziationen ausgelöst werden. Dabei ist bei Allison leider nicht immer nachvollziehbar, weshalb sie in besagtem Moment gerade an dieses Ereignis ihrer Vergangenheit denkt. Diese vereinzelten Brüche irritieren bisweilen.

Gelungen ist der Spannungsbogen: durch die wechselnden Perspektiven entwickelt sich allmählich eine Geschichte und lässt den Leser ahnen, wie das alles zusammenhängen könnte. Dabei wird aber nicht zu viel verraten, die Geschichte nimmt puzzlelartig Gestalt an, ohne langweilig zu werden.

Vereinzelt taucht dann - kursiv hervorgehoben - ein Mann auf, der Allison verfolgt. Es stellt sich bald heraus, dass er wohl ein Auftragskiller ist, der sie töten soll. Aber wie gelingt es ihm, Allison, die zu Fuß in der Wildnis unterwegs ist, überhaupt zu finden? Auf die Erklärung wartet die Leserin vergebens. Während Allison, Witterung und Kälte ausgesetzt, durch den Wald irrt, kommt er entspannt immer näher. Zu Fuß. Im Wald. Ohne sich je zu verlaufen? So entspannt, dass er sogar eine Zigarette rauchen kann? Dieser dubiose Fremde sorgt zwar für Spannung, als Superman ist er allerding auch ein wenig abgedroschen.
Trotzdem: Freefall ist ein packender, gut geschriebener Thriller, der durch die toll beschriebene Gedankenwelt seiner Figuren lebt.