70 Jahre Schweigen

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missbibliophile Avatar

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Ein kleines verschlafenes Dorf namens Oberkirchbach kurz nach dem 2. Weltkrieg: Die junge Emma und Fritz, der erst vor Kurzem aus der Kriegsgefangenschaft zurückgekehrt ist, lieben sich und wollen heiraten. Sie wurden am gleichen Tag geboren und für alle ist es klar, dass sie zusammengehören. Kurz vor ihrer Hochzeit passiert aber etwas, das sie auseinandertreibt. Obwohl sie im selben Ort wohnen, sie am einen, er am anderen Ende, reden sie für 70 Jahre nicht mehr miteinander. Beide bauen sich ihr Leben mit anderen auf, aber beide sind unglücklich, denn Fritz gehört zu Emma und Emma zu Fritz.
2019: Die junge Großstädterin Marie zieht mit ihrem Mann, dem neuen Pfarrer, nach Oberkirchbach, das inzwischen fast ausgestorben ist. Die wenigen übriggebliebenen Bewohner sind alt, ihre Häuser sind noch älter und die wenigen jungen Leute leben im Neubaugebiet. Jeder bleibt unter sich und in dieser Atmosphäre fühlt sich Marie unwohl, weil sie, anders als ihr Mann, keinen Sinn in ihrer Anwesenheit in dem trostlosen Ort sieht. Bis eine Feier für den 750. Geburtstag des Dorfes und das Mysterium, das um Fritz und Emma rankt, dazu führt, dass sich die Dinge ändern. Vielleicht hat Oberkirchbach nur Marie gebraucht, um zu neuem Leben zu finden...

"Fritz und Emma" von Barbara Leciejewski ist eines jener Bücher, die sich perfekt für eine Verfilmung eignen. Beim Lesen hatte ich viele Bilder im Kopf: Das idyllische Dörfchen, wie es früher in seiner Glanzzeit war und wie es heute ist, Marie und Jakob und die alten Dorfbewohner, allen voran Emma und Fritz, die Festhalle und das Haus mit dem Mirabellenbaum. Alles abwechselnd mit Flashbacks in die Vergangenheit, durch die die Geschichte von dem ehemaligen Liebespaar auflebt. Diese Flashbacks, die auch im Roman verwendet wurden, gefielen mir sehr, weil sie auf eine kurzweilige Art und Weise die ganzen Jahre zusammengefasst haben, die seit der Trennung der beiden Alten vergangen sind.
Zu kurz kam auch die Beziehung zwischen Marie und Jakob nicht, die sehr realistisch geschildert ist. Marie ist zwar die Protagonistin der "gegenwärtigen" Teile des Romans, aber ich hätte gerne noch mehr aus Jakobs Sicht erfahren, weil er oft im Hintergrund blieb.
Was mir am meisten an diesem Roman gefallen hat, ist der flüssige und sehr schöne Schreibstil der Autorin! Die Melancholie konnte man förmlich zwischen den Zeilen lesen, vor allem in den Flashbacks und die leise Traurigkeit der zwei Protagonisten Fritz und Emma ob der verstrichenen Zeit und der Gelegenheiten, die sie verpasst hatten. Eine außergewöhnliche Liebesgeschichte, die mich stellenweise an Jane Austens "Persuasion" erinnert hat. Zwar gab es keine großen Überraschungen im Roman und die Handlung war zu weiten Teilen vorhersehbar - darum nur 4 von 5 Sternen von mir - aber dennoch ein schöner Roman, den zu lesen es Spaß macht und der einen zum Nachdenken bringt.