Nächster Halt: das unterste Niveau

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caillean79 Avatar

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„Eine erotische Deutschlandreise“ ist der Untertitel dieses Buches. Nun ja, es ist eine Deutschlandreise. Ob sie erotisch ist? Für Leute, die ausführliche Beschreibungen der sexuellen Betätigungen ca. 80-jähriger Männer oder die „Erziehung“ eines unerfahrenen Lehrlings zum „Lustknaben“ erotisch finden, vielleicht. Für mich – nicht.

Ich habe mich spätestens nach dem 3. Kapitel gefragt, wo sich denn die Handlung versteckt hat. Jetzt weiß ich: nirgends. Denn sie ist quasi nicht vorhanden. Wir begleiten Nicole, verheiratet, zwei Kinder, Lokführerin mit arg nymphomanischen Anwandlungen, 10 Tage lang auf ihrer Lokführer-Schicht, die sie quer durch Deutschland führt. Die Tage laufen allesamt nach dem gleichen Muster ab: tagsüber Zug fahren, abends in der jeweiligen Stadt den dort (natürlich!) vorhandenen Bettkameraden besuchen. Okay, ein oder zwei Mal hatte sie am Ankunftsort noch niemanden, den sie regelmäßig für ihre Eskapaden traf. Kein Problem – einfach mal schnell in die nächste Kneipe gesetzt und schon war ein neues „Opfer“ gefunden. Für ne schnelle Nummer reichts allemal. Hauptsache, jeden Tag Sex.

Nein, das ist kein erotischer Roman. Das ist eine Aneinanderreihung von Kopulationsbeschreibungen. Vorlieben scheint Nicole nicht zu haben. Sie macht einfach alles. Und das freiwillig. Ja, das ist wirklich absolut glaubwürdig.

Und bei der Gelegenheit gleich die Warnung: zimperlich sollte man beim Lesen nicht sein. Da ist die Rede vom Masseur, der nicht mehr ganz so jung ist, wie er sich gibt und sich auf die „Betreuung“ älterer Damen spezialisiert hat. Der froh ist, dass er mal zur Abwechslung eine Frau Mitte Dreißig „abkriegt“. Oder von dem Greis, der sich an einer Putzfrau weidet, die wie sein früheres Kindermädchen zurecht gemacht ist. Von dem erfolgreichen Geschäftsmann, der Windeln und Schnuller braucht, um Sex als etwas Besonderes zu empfinden. Sicherlich mag es all diese Spielarten geben. Aber ob gleich Literatur daraus wird, wenn man sie mal unverblümt ausspricht und versucht, möglichst viele Neigungen auf 200 Seiten unterzukriegen?

Ich habe mich vor dem Lesen gefragt, warum die Autorin ein Pseudonym gewählt hat (lt. Verlag handelt es sich um eine „bekannte deutsche Autorin“). Ich dachte – wenn sie meint, diese (angeblich tatsächlich auf einem Interview mit einer Lokführerin beruhende) Geschichte unbedingt der Öffentlichkeit erzählen zu müssen, warum traut sie sich dann nicht, ihren richtigen Namen zu verwenden? Eine „bekannte deutsche Autorin“ wird ja wohl in der Lage sein, so zu schreiben, dass der Anspruch gewahrt bleibt. Nun ja. Nach dem Lesen weiß ich nun jedenfalls, wieso sie wohl zu Recht ein Pseudonym gewählt hat. Auch wenn man sich mit ein bisschen Internetrecherche zusammenreimen kann, um wen es sich handelt. Es gibt da interessaterweise einen Artikel der FAZ aus 2010 im Internet, in dem es um eine Lokführerin geht, die mal als Prostituierte gearbeitet hat. Und in diesem Artikel werden merkwürdigerweise die gleichen bahntechnischen Fachbegriffe verwendet wie in diesem Buch. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt…Und der (richtige) Name der Autorin steht groß obendrüber.

Egal – ich werde mich jedenfalls demnächst auf die Suche machen nach einem wirklich guten erotischen Roman. Diesen hier kann ich fürs „Kopfkino“ nicht gerade empfehlen.