Hallo Vater!

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Leerer Stern
marcialoup Avatar

Von

Mal eine andere Familiengeschichte: vom Aufräumen im eigenen Leben, von der Konfrontation mit der Kindheit, die zuhause im Elternhaus in jeder Ecke schlummert und die einen begleitet, wenn man als Tochter den Vater im hohen Alter pflegt. Als Kind der 70er/80er kann man die Gedanken und Erlebnisse in diesem Roman sehr gut nachspüren, weil man sie eventuell selbst schon so erlebt hat und ja, es braucht Mut, um die Momente des eigenen Lebens noch einmal zu erleben; sich allem zu stellen, was hochkommt, wenn man als Erwachsene/r nach langer Zeit ins Elternhaus zurückkehrt. Manche Erinnerungen passen in einen Karton, den man verstaubt und nach altem Papier riechend vom Dachboden kramt. Ihn zu öffnen kostet Überwindung, denn die Geister der Erinnerung werden dadurch freigelassen und schwirren in die aktuelle Gegenwart während man selbst in die Vergangenheit hineingezogen wird. Die Konfrontation mit sich selbst, der Spiegel der Vergangenheit, gelüftete Geheimnisse – man muß es aushalten (können).
So geht es Franziska – sie fährt zu ihrem verwitweten Vater, um ihn einige Zeit zu pflegen. Ihre Schwester Monika ist im „Urlaub“, dafür springt sie ein. Zunächst sind wenige Wochen geplant, doch Monika ist nicht nur im Urlaub - so schnell wird sie nicht wiederkommen... Ohne es zu wissen und zu wollen übernimmt Franziska mehr als nur eine Urlaubspflege. Franziska und ihr Vater Heinrich müssen sich langsam wieder aneinander herantasten, zu viel war passiert, was nicht ausgesprochen wurde, was falsch verstanden oder nicht ausdiskutiert wurde.

Wenn man selbst Eltern pflegt oder gepflegt hat, findet man sich in diesem Buch sehr oft wieder – eine berührende Zeit, schmerzhaft und schön zugleich, im Nachblick außergewöhnlich wertvoll, auch wenn man mehr als einmal aufgeben möchte, weil man manchmal an scheinbar unüberwindbare Grenzen stößt.
Die Perspektive wechselt zwischen Franziska und ihrem Vater, und der Leser erfährt von beiden Seiten deren Leben und Erleben im Früher und im Heute.
Leise, doch mit kraftvollen Worten zeichnet die Autorin ein eindringliches Bild von Franziska, ihrem Vater und all den Personen, die zu ihren Leben gehör(t)en. Die schöne Sprache läßt das Buch angenehm fließen.

„Die Küchenuhr tickt die Sekunden herunter“.
Diesen Satz nehme ich mit, denn wir haben alle schon heruntergetickte Sekunden, und man sollte ab und zu mal innehalten und hören, ob sie richtig getickt haben oder ob man an der Uhr noch etwas stellen kann/soll/muß.