Zwiebelbook

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herr_stiller Avatar

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Wie viele Geschichten passen eigentlich in ein Leben? Oder zumindest in ein Buch von rund 450 Seiten? In Gisa Klönnes „Für diesen Sommer“ sind es viele: Vater-Tochter-Entfremdung, Geschwisterstreit, Weltkriegsdrama, Umweltbewegung, Kindstod, Depressionen, Suizid, ein bisschen natürlich auch die Liebe. Und zwischen den Zeilen sicher noch ein paar mehr.

Zissy steht vor der Tür ihres Elternhauses, das sie seit dem Tod ihrer Mutter nicht mehr betreten hat. Ihr Vater und ihre Schwester Monika legten keinen Wert darauf, nachdem sie wenige Stunden zu spät im Krankenhaus eingetroffen war, um sich noch verabschieden zu können, eigentlich eh schon längst nicht mehr da war, aus vielen Gründen, die sie aber eigentlich auch gar nicht so sehr interessieren. Aber jetzt wird sie gebraucht.

Ihr Vater kann den Alltag nicht mehr gut alleine absolvieren, hat die von Monika geplante Kur abgesagt, verweigert den Umbau des Hauses in ein altersgerechtes Domizil, sitzt lieber zuhause und zeichnet Ameisenbären. Zu viel für Monika, die mit Burnout in eine Klinik muss, nachdem ihr Mann Zissy um Hilfe gebeten hat. Eine Klinik, mit der Zissy und „Moka“ mehr verbindet, als sie ahnen.

Gisa Klönne schreibt mal aus der Sicht von Zissy, mal aus der Gedankenwelt des Vaters. Springt immer wieder zwischen dem Zweiten Weltkrieg und heute, der frühen Kindheit der Töchter bis zur Jugendbewegung der 80er-Jahre. Für die Leser:innen ein bisschen fordernd, aber der Geschichte der Familie durchaus angemessen, die Konzentration darf sich nicht einmal einen kurzen Moment ausruhen, ansonsten droht mindestens eine hochgradige Verwirrung und nervöses Zurückblättern.

„Für diesen Sommer“ ist ein langsames, ein leises, ein melancholisches, stellenweise etwas zu pathetisches, aber auch immer wieder hoffnungsvolles Buch. Ein Gespräch mit der Nachbarin, ein Ausflug zum See, ein kurzer Spaziergang ohne Rollstuhl lassen die Entfremdung schwinden, das Geschwisterverhältnis versöhnlicher werden.

Ein Buch, eine Familiengeschichte wie eine Zwiebel, unglaublich vielschichtig, kaum ein Auge trocken lassend, mit wunderlichen und liebevollen, aber auch tieftraurigen Episoden, das keine Generation auslässt – und so vielleicht Leser:innen dazu bewegt, sich nach jahrzehntelangem Stillstand zu bewegen, mit der eigenen Familie auszusprechen und zu versöhnen.