tragisch- schön, ganz knapp an den fünf Sternen vorbeigeschrammt

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elke seifried Avatar

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Dies ist bereits der zweite Teil des Familiendramas, für mich war es der erste. Ich hatte keinerlei Probleme mich zurechtzufinden und die Autorin konnte mich auch alleine mit diesem Teil emotional fesseln. Allerdings hätte man sicher eine noch nähere Beziehung zu den Protagonisten, wenn man die Krankengeschichte auch kennt, vielleicht hätte es dann auch bei mir noch für fünf Sterne gereicht.

„Mein Kind ist tot, und du bist ungefähr so lustig wie ein Furz im Auto.“
Nicht nur für Molly bricht eine Welt ein, als ihre einundvierzigjährige Tochter Rabbit ihrem Krebsleieden erliegt. Abschied nehmen, sie gehen lassen, Trauer bewältigen und versuchen irgendwie weiterzuleben müssen auch alle anderen Familienmitglieder und Freunde.

Die Autorin gliedert ihren Roman in neun Abschnitte. Los geht es mit Tag X, in dem man in Nahaufnahme miterleben muss, wie die Familie am Sterbebett loslassen muss. Ein schmerzhafter Einstieg daher, der einen emotional sofort in die Geschichte holt. Weiter geht es mit den zwei Abschnitten Totenwache und Beerdigung, bei denen man mit jedem einzelnen mit dabei ist. Nach diesen ausführlich beschriebenen ersten Tagen, die bei allen wie in Trance aber auch nicht ohne Reibungspunkte vergehen, ist in den folgenden zwei Kapiteln harte Trauerbewältigung angesagt, zuerst im ersten Jahr, dann im Zweiten. Die verbleibenden vier Abschnitte, von denen ich allerdings gar nicht zu viel verraten will, widmen sich dann den letzten Hürden, bis die Einsicht, „es ist es okay, glücklich zu sein“, auch wenn Rabbit tot ist, bei allen ins Bewusstsein dringt.

Die Autorin erzählt abwechselnd aus Sicht aller ihre Mitspieler, d.h. aller Familienangehörigen und Rabbits Freundin Majorie. Man kommt daher allen sehr nahe, was ich bei diesem schweren Thema Trauerbewältigung für eine grandiose Wahl halte. „Sie wollte absolut gar nichts tun. Sie konnte nicht einmal an Essen, Trinken, Spazierengehen, Sprechen, Bewegen, Sitzen, …. denken, selbst Schlafen kam ihr wie eine riesige Aufgabe vor. Sie stand einfach nur wie gelähmt mitten in der Küche und steckte fest in Zeit und Raum.“ Die Autorin beschreibt sehr einfühlsam, mit vielen Bildern und man kann die Gefühle und Stimmungen spüren. Zudem darf man in kursiven Einschüben an deren Gedanken teilhaben. Ich habe nach dem Lesen wirklich eine ganz konkrete Vorstellung davon, was die Trauer für einen jeden einzelnen bedeutet, wie sehr sie ihm zugesetzt hat und habe diese miterlebt. Aber es ist nicht alles tieftraurig und man muss beim Lesen nicht in ein dunkles Loch fallen. Man darf lachen, grinsen und schmunzeln. Situationskomik, die einen rührt, ist genug vorhanden. So kann es beim ersten Küssen schon mal zu Pannen kommen, aber dank You Tube tutorials bekommt man auch das in den Griff. Wechseljahre oder nicht? „Sie beschloss, zum Arzt zu gehen und sich testen zu lassen. Warum sollte sie sich nicht Gewissheit darüber verschaffen, ob noch ein paar Eier in der Schachtel waren.“ Solch pointiert, spitze Beschreibungen oder auch bitterböse, bissige Kommentare vor allem aus Mollys Mund wie „Du hast was Besseres verdient als mit diesem Riesenhornochsen in die Kiste zu springen. Nimm´s mir nicht übel, mein Sohn.“ machen die eigentlich tieftraurige Geschichte ganz oft zur bittersüßen Komödie.

Rabbits Mutter für die gilt. „Sie sind auch nur ein Mensch, Molly. Und zwar einer der besten und fürsorglichsten Menschen, die ich kenne Außerdem besitzen sie das schmutzigste Mundwerk, das ich kenne, und ich habe im Kaufe der Zeit einige Charmebolzen kennengelernt.“, flüchtet sich in wohltätige Arbeit und baut eine Mauer um sich herum auf. Ich habe viel mit ihr gelitten, sie hat mich mit ihren bitterbösen Kommentaren aber auch ganz oft zum Grinsen gebracht. Nicht ganz so viel konnte ich damit anfangen, dass sie für kostenloses Wasser auf die Barrikaden geht. Das fand ich lange Zeit nicht so interessant und das hätte mir weniger ausführlich genügt. Gerührt hat sie mich erst ganz am Ende mit dieser Aktion. Ihr Ehemann Jack, der sich zurückzieht, stundenlang alleine in Erinnerungen schwelgt und den ich so gut verstehen konnte, liebt sie über alles und gerade deshalb hat mir besonders weh getan, dass Molly sich immer mehr von ihm entfernt, dass die Ehe in eine bedrohliche Schieflage gerät, egal wie sehr Jack dagegen anrudert.

„Seine Eltern waren zu alt, und seine Schwester hatte bereits vier Jungs…. Warum also nicht er, der Typ mit mehr Geld als Verstand, ohne Frau, ohne Kinder und mit einem riesigen Loch in seinem Leben, dass es zu füllen galt.“ In Davey konnte ich mich super gut hineinversetzen und für mich hat er unheimlich viel Größe bewiesen, indem er Juliet versucht ein guter Vater zu sein. Auch wenn ihm das niemand zutraut, nicht einmal er selbst sich wirklich, hat er meiner Meinung nach sein Allerbestes gegeben und auch zunehmend viel Feingefühl bewiesen. Seine Passagen habe ich ebenso wie Juliets, für die gilt „Sie wusste, dass er genügend Platz hin seinem Haus und in seinem Herzen für sie hatte. Was sie allerdings nicht wusste, war, wie impulsiv, selbstsüchtig, verkorkst und planlos er war.“, mit am liebsten gelesen. Beim ihm wird eine so tolle Entwicklung deutlich und bei Rabbits Töchterchen wird die völlige Haltlosigkeit, aber auch die ungeheurer Tapferkeit grandios gezeichnet.

Nicht ganz so viel konnte ich mit Graces Sorgen anfangen. Ebenfalls wie Jack fiel es mir schwer nachvollziehen zu können, wie man sich, weil man wie die Schwester ebenfalls eine Veranlagung, ein erhöhtes Risiko an Brust und Gebärmutterkrebs zu erkranken, Gedanken über eine prophylaktische Total OP machen mag, vor allem, wenn man zudem noch solch furchtbare Angst vor Schmerzen, Blut und Spritzen hat, denn auch damit kann ich nicht wirklich umgehen. Augen zu und durch ist da eher meine Devise, ihre Ängste waren mir daher auch etwas zu ausführlich geschildert.

Richtig gut haben mir allerdings dann wieder die Abschnitte von Freundin Majorie gefallen. Besonders bei den Problemen mit ihrer leiblichen Mutter, die ihr eigentlich keine ist, hat sie für mich ganz viel Größe bewiesen und ich fand toll, dass sie sich so einsetzt.

„Lieber Gott ich bin fertig mit dir!“ Wie wichtig ist es an etwas glauben zu können? Gibt es einen Gott und wenn ja, warum lässt er dann so etwas zu? Ist eine Grabstätte wichtig oder kann man sich die Asche auch in der Urne in die Zimmerecke stellen? Das sind Fragen, die toll thematisiert werden und die mir beim Lesen immer wieder durch den Kopf gegangen sind. Richtig gut hat mir auch die Botschaft gefallen, „Du wirst eine Menge Fehler machen, und das macht überhaupt nichts, solange sie sich geliebt fühlt. Mehr braucht man nicht.“, denn ich denke auch, dass jeder jemanden braucht, der einen liebt.

Alles in allem für mich ein berührend, bitterkomischer Roman, der mich bis auf ein paar kleine Längen wirklich sehr gut unterhalten hat und mir sicher auch noch ein Weilchen im Kopf nachgehen wird. 4,5 Sterne gibt es von mir.