Sanft und schwer zu gleich ...

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franci Avatar

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Eine schönere Bekanntschaft mit der Autorin Barbara Leciejewski hätte es nicht geben können. „Für immer und noch ein bisschen länger“ war ein Roman, der mich mehrfach schlucken ließ, mir Gänsehaut bescherte, weh tat und mich zum Lächeln brachte.

Welcher der einfühlsam und authentisch gezeichneten Charaktere mein Liebster, welche Geschichte am berührendsten, schmerzhaftesten war?
Vermag ich nicht zu sagen. Denn all diese Schicksale, die Barbara auf 432 Seiten verborgen hat, um sie sanft zu offenbaren, all der gebündelte Schmerz, die Erinnerungen und Seeleneinblicke waren unglaublich emotional und bewegend. Die Autorin schreibt natürlich, intensiv und so, dass sich der Leser in die Gefühle und Situationen hineinversetzen kann, die Facetten hautnah erlebt und auch die Handlungsorte kennenlernt — ganz gleich, ob Anna und Jeremias heimelige Altbauwohnung, die verschrobene, herrschaftliche WG oder die schönen Ecken von München. Hinzu kommt eine lebendige, einnehmende Atmosphäre, die sich vor allem in den Erinnerungen und Erzählungen der einzelnen Figuren deutlich herauskristallisierte.
Die Leidenschaft für Musik war überwältigend. Ich sah mich selbst auf der Bühne singen, als Souffleuse eine Hilfe sein oder am Flügel sitzen.

Barbara bündelt eine Vielzahl verschiedener Probleme, überdramatisiert nie das Geschehen und bringt tiefgründige Themen zur Geltung. Der Roman wurde zu keiner Zeit uninteressant, selbst die alltäglichen Situationen geben dem Leser etwas, wenn es auch nur ein Lächeln ist, angesichts der Skurrilität, Trost und Verständnis. Dadurch, dass sich Rose, Gunilla, KG, Anders und letztendlich auch Anna erst nach und nach öffnen, zu vor durch Andeutungen lediglich Vermutungen entstehen, bleibt die Neugier erhalten. Und weicht echter Betroffenheit.
Viele Momente lasten schwer und bedrückend, doch durch direkte, witzige oder auch ironische Dialoge hielt die Melancholie nie an. Die Handlung ist aktuell, Barbara Leciejewski setzt ihre RentnerPlusAnna WG prompt in die Pandemie.

Erzählt wird hauptsächlich aus Annas Perspektive, jedoch gibt es Ausschnitte aus ihrer einsamen, lieblosen Kindheit und knappe, entscheidende Einblicke in die herzlichen Mitbewohner. Durch all diese Variationen und Eindrücke fühlt man sich dieser ganz besonderen WG, diesen großartigen Menschen noch näher. Versteht.

Wir lesen von dem Leben eines Autisten, von Verzicht und einem wunden Mutterherzen, von schweren Verlusten, Tragik, Reue und sogar über das Handicap eines ganz besonderen Nachbarn.
„Für immer und noch ein bisschen länger“, erzählt von Überwindung, von Worten, wie wichtig es ist zu fragen und zu reden, und von tiefer, grenzenloser Liebe, jener, die für immer hält — sogar den Tod überwindet.
Eine Geschichte, die so viel gibt und einen Neuanfang ebnet.