Ins kalte Wasser bzw. mitten in eine Reihe hinein geschmissen?!

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laberlili Avatar

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Schwedische Krimis reizen mich seit einigen Jahren ganz besonders, da sie meiner Meinung nach immer eine grundsätzlich düstere und damit bösere Atmosphäre ausstrahlen; den badischen Lokalkrimi könnte ich mir zum Beispiel eher nicht vor schwedischem Hintergrund vorstellen und in Sachen „Geburtstagskind“ faszinierte mich gleich der beklemmende Anfang, an dem man feststellt, dass das kleine Mädchen, das da fröhlich um ihre Familie tanzt und das schon seit Tagen tut, die einzig lebende Person in dieser Wohnung ist.
Ich war so neugierig darauf zu erfahren, wie es dem Kind, das damals eine neue Identität auferlegt bekommen hat, weiterhin ergangen ist und was der Hintergrund jenen Familienmassakers war – als ich dann mal wieder zu wöchentlichen Infusionen zum Hausarzt musste, habe ich die Gelegenheit genutzt, um mich dort ganz genüsslich auf der Liege hinzufläzen und Woche um Woche im „Geburtstagskind“ weiterzuschmökern. Das Buch war quasi mein Leseleckerli, das ich explizit während jenen Stunden gelesen habe. Aber in Woche 3 ließ meine Begeisterung doch bereits deutlich nach, denn das Mädchen spielte nach dem krassen Anfang zunächst keine Rolle mehr, außer dass man es wegen neuerer, gleichartiger Morde wiederauffinden wollte – noch dazu waren in diesem Zusammenhang wichtige und zudem geheime Unterlagen aus dem Polizeipräsidium Stockholms verschwunden, die zudem die Identität eines V-Manns enthüllten. Jener, namens Piet Hoffmann, spielt neben dem Kommissar Grens in „Geburtstagskind“ fortan die tragendste Rolle: Als Leser erlebt man plötzlich einen erpressten V-Mann, von dem man irgendwie nicht weiß, was man von ihm halten soll; zunächst wirkt er wie ein „simpler“ verdeckter Ermittler, dem es vor Allem darum geht, seine kleine Familie von seiner Arbeit möglichst fernzuhalten, um sie so zu schützen; dann wirkt er wie ein Szenekenner, wie ein Gauner, dem man für seine Mitarbeit als V-Mann Entgegenkommen zugesichert hat und plötzlich wird er ganz freimütig als der Mann bezeichnet, der mal der meistgesuchte Verbrecher Schwedens war. Auch in „Geburtstagskind“ verändert er prompt wieder sein Aussehen und, chirurgisch, sogar seine Stimme und blieb dabei für mich so wenig fassbar, dass ich ganz fasziniert davon bin, dass dieser Kerl sogar sowas wie ein ganz normales Familienleben führen sollte. Aber irgendwie war mir bis zuletzt nicht klar, ist er nun gut, ist er böse, ist er nur in dieser Geschichte nun auf der Seite der Guten, besteht sein Engagement inzwischen grundsätzlich darin, für die Polizei zu infiltrieren, wobei da eigentlich keiner groß weiß, dass er als V-Mann akquiriert worden ist. Es gab ständig irgendwelche Verweise auf die gemeinsame Vergangenheit von Grens und Hoffmann und dank Wikipedia weiß ich, dass es da bereits drei Piet-Hoffmann-Romane gegeben hat, die 2018/2019 allesamt auf Deutsch erschienen sind (Teil 1 ist sogar verfilmt worden; der erste Hoffmann-Roman ist tatsächlich die Basis für „The Informer“), was mir hier während des Lesens unklar war und ich weiß auch immer noch nicht, ob „Geburtstagskind“ nun sowas wie ein vierter Band oder ein Spinoff der Reihe ist. Ich hab „Geburtstagskind“ zwar letztlich verstanden, hatte aber ständig das Gefühl, dass mir irgendwelches Vorwissen fehlte – von daher mag es vielleicht doch empfehlenswert sein, die drei spezifischen Hoffmann-Bücher zuvor gelesen zu haben. (Ich habe mir deren Beschreibungen extra angesehen und „Geburtstagskind“ scheint da definitiv keine Neuauflage eines Titels zu sein.)

Letztlich sind die großen roten Fäden, die sich durch das Buch ziehen, Rache (von der man gar nicht weiß, wer genau sie an wem und warum eigentlich ausübt) sowie internationaler Waffenschmuggel, wobei man auch da nicht weiß, wer da beteiligt ist – und erst recht nicht, wie das alles noch mit der Kleinen vom Romananfang und ihrer toten Familie zusammenhängt. Irgendwie dröselt sich zwar alles auf und man versteht die Zusammenhänge auch, wobei ich das Ende der Geschichte übrigens ähnlich deprimierend wie den Anfang fand, aber ich hatte doch nicht mit diesem korrupten Konglomerat an Verstrickungen innerhalb der europäischen Unterwelt gerechnet. Was wie ein Psychothriller begann, wurde mehr und mehr zu einer Art Politthriller – und mein nachlassendes Interesse ab Woche 3 lag vor Allem daran, dass die Handlung in meinen Augen im dritten Fünftel des Romans zunächst sehr auf der Stelle trat; da schien es irgendwie Drohungen von allen Seiten zu geben ohne dass etwas passierte; die „neuen“ Morde waren eher uninteressant, weil der Bezug zu den Opfern fehlte. Für mich waren das bloß irgendwelche Unterwelttypen, bei denen es mir ehrlich gesagt völlig egal war, wer sie abgemurkst hatte – nach dem letzten Arzttermin habe ich den Roman dann auch erstmal links liegenlassen und war mir nicht sicher, ob ich ihn überhaupt noch weiterlesen wollte. Pluspunkt: Als ich das dann getan habe, war ich doch aber auch sofort wieder voll in der Geschichte drin und zum Ende des dritten Fünftels hin passierte auch wieder was, mehr Personen wurden strangweise in den Fokus gerückt und ohnehin wurde alles wieder zentrierter. Da gewann mich die Story als Leser wieder zurück, aber letztlich kann ich ihr doch nicht so recht verzeihen, dass sie mich zwischendrin derart hat hängenlassen, und auch mit nichts verraten hat, dass es da schon weitere Romane mit Piet Hoffmann gibt. Wer komplexere, internationalere Thriller mag, die in Richtung (politische) Korruption gehen und weithin in der Unterwelt spielen, findet bestimmt Gefallen am „Geburtstagskind“, aber ich würde halt doch dazu raten, zuvor die anderen Hoffmann-Bände zu lesen, um die Dynamik zwischen Hoffmann und Grens besser verstehen zu können.