Nichts ist wie es scheint

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elke seifried Avatar

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"Gedenke mein" ist bereits der achte Fall der Krimireihe um den Münchner Kommissar Toni Dühnfort. Ich kenne nicht alle, hatte aber keinerlei Probleme und war sofort in der Geschichte. Die Handlung ist in sich abgeschlossen und kann so gut auch unabhängig von den anderen Bänden gelesen werden. Hier kann man besonders gut einsteigen, da es sich um den ersten Fall für Gina, Tonis Verlobte, handelt.

Es geht sofort ergreifend los. Petra Weber wartet seit gut zehn Jahren darauf, dass ihre Tochter Marie gefunden wird. Sie will nicht daran glauben, dass ihr damaliger Mann, nachdem sie sich von ihm getrennt hat, erweiterten Suizid begangen hat. Die Leiche des Mädchens wurde nie gefunden und die Mutter hat immer noch Hoffnung. Gina Angelucci arbeitet bei der Münchner Kripo in der Abteilung für Cold Cases. Eben hat sie einen jahrelang zurückliegenden Fall erfolgreich gelöst und geht deshalb durch die Medien. Petra sieht eine neue Chance und wendet sich an Gina. Diese sollte eigentlich endlich ihrem Chef beichten, dass sie schwanger ist und deshalb Innendienst leisten müsste. Schwanger kann sich Gina natürlich besonders gut in die verzweifelte Mutter hineinversetzen. Das Problem ist jedoch, dass für diesen Fall die Kripo Rosenheim zuständig ist. Gina versucht die Kollegen noch einmal auf die Suche nach Marie anzusetzen, was die genervten Ermittler allerdings ablehnen. Kein Wunder, denn je mehr Gina nachbohrt, desto mehr Ermittlungspannen kommen ans Tageslicht. Was wir nicht haben ist gigantisch, beschreibt die Akte wohl mehr als gut. Wird es Gina und ihrem Team gelingen zu klären, was damals geschah? Wird sie Petra endlich von ihrem quälenden Warten erlösen können?

Die Charaktere sind wirklich toll dargestellt. Man kann die Verzweiflung von Mutter Petra richtig spüren. Sie hat ihr Leben aufgegeben, lebt in einem kleinen Einzimmerappartement und gibt jeden Cent für die Suche nach ihrer Tochter aus. Freunde hat sie bis auf Mark, der ihr wirklich toll zu Seite steht, schon längst keine mehr. Alle halten sie verrückt. Gina war mir von Anfang an sympathisch. Sie liebt das Leben, was auch den Genuss mit einschließt. Niemals würde sie auf Rosinenschnecken verzichten und Kaffee darf man glücklicherweise auch schwanger trinken, solange man nicht übertreibt. Sehr zum Leidwesen ihres durchtrainierten Kollegen Holger, der nie ohne sein Fitnessarmband unterwegs ist und ständig versucht Ginas Körperfettanteil zu optimieren. Toni, um den sich die Krimis von Inge Löhning bisher drehten, tritt hier in den Hintergrund, ist aber auch immer irgendwie um den Weg. Er freut sich riesig auf den Nachwuchs und die bevorstehende Heirat. Außerdem macht er sich ernsthafte Sorgen um Gina und das Baby, sogar so viele, dass sich der sonst so Superkorrekte zu einer halblegalen Aktion hinreißen lässt. Auch die Nebendarsteller sind toll gezeichnet, bei Ginas Mama angefangen, die die Hochzeitsvorbereitungen für die beiden übernehmen muss, über einen verurteilten Kinderschänder bis hin zu furchtbaren Journalisten, die die Ermittlungen torpedieren.

Der Krimi nimmt einen mit, vor allem auch weil er einen emotional anspricht. Wie schlimm muss es sein mit dieser Ungewissheit zu leben. Ganz abgesehen von dem abgrundtiefen Leid, das solche Kinder erleben müssen, wenn sie tatsächlich jemand entführt hat. Einiges war für mich etwas absehbar, nichtsdestotrotz ist die Geschichte spannend und hält viele Überraschungen bereit. Es ist einfach nichts so wie es scheint. Das Privatleben um die werdenden Eltern läuft so am Rande mit und drängt sich niemals in den Vordergrund, was mir gut gefallen hat.

Mit Gina nimmt die Autorin auch klar Stellung zum Thema Flüchtlingswelle. So kann diese nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren, ihre Hochzeitsreise in einer 4000€ Suite im nobelsten Hotel in Venedig zu verbringen, wenn vor den Küsten Menschen, die auf der Flucht sind, ihr Leben lassen müssen. Ein leiser Aufruf am Rande für Spenden, Mithilfe und Willkommenskultur, toll gemacht. Ebenfalls sind Vorurteile und das Schicksal von aus der Haft entlassenen Straftätern wirklich gut dargestellt.

Alles in allem hätte es mir noch eine kleine Spur mehr Spannung gut gefallen. Aber der flüssige Schreibstil, die toll dargestellten Charaktere und die Geschichte, die einen emotional mitnimmt, bekommen trotzdem noch ihre 5 Sterne.