A Millennial's Horror Story

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"Aber weder der Arzt noch meine spätere Therapeutin verstanden je, dass mein Stress nicht durch die Arbeit an sich ausgelöst wurde, sondern [...] durch die Tatsache, überhaupt zur Arbeit gehen zu müssen."

Marisa ist 32 und Creative Director bei einer Marketingfirma in Madrid. Sie lebt in einer kleinen Wohnung mit Balkon und führt eine ganz nette F+ mit ihrem Nachbarn. Und sie hasst ihren Job. Aus tiefstem Herzen. Als sie es dann verpasst, für den Betriebsausflug zum Teambuilding eine Ausrede zu finden, und notgedrungen mitfahren muss, weiß sie, dass sie das Wochenende nur mit einer Bauchtasche voller Drogen überstehen wird...

Beatriz Serrano hat hier ein herrlich zynisches, rotziges Debüt vorgelegt, in dem sich jede Millennial auf die eine oder andere Art wiederfinden wird. Marisa bewegt sich in einem Arbeitsumfeld, das man vielleicht als Bullshit-Job bezeichnen könnte. Sie sieht absolut keinen Sinn in der von ihr ausgeübten Tätigkeit, als Feministin verachtet sie sich manchmal sogar dafür, Wimpernzangen und Anti-Aging-Cremes vermarkten und Frauen gezielt manipulieren zu müssen. Sie ist da halt so reingerutscht nach ihrem Kunststudium, und geblieben weil das Geld gut ist. Wie sagt sie es so schön: Sie hätte sich entweder dafür entscheiden können, etwas zu tun, was sie mag, oder dafür, mehr Dinge kaufen zu können. Sie hat Letzteres gewählt.

Marisa lebt in einer Metaperspektive auf ihr eigenes Leben. Sie taucht in nichts ein, alles betrachtet sie nur von außen, sie nimmt eigentlich nicht teil an ihrer eigenen Existenz. Ich kenne das von diversen Freunden, denen es genauso geht - Arbeit an sich ist für sie unerträglich, 8h pro Tag etwas tun zu müssen, das nicht exakt dem entspricht, was sie gerne tun würden, wenn sie kein Geld verdienen müssten. Ich kenne dieses Gefühl zwar nicht, kann mir aber problemlos vorstellen, wie unendlich zermürbend es sein muss und welche Angstzustände es auslösen kann. Erleichterung findet sie in den wenigen Genüssen des Lebens - auf der Terrasse sitzen, gutes Essen konsumieren, Drogen. Ohne Letztere kommt Marisa nicht durch den Alltag.

Marisa gibt wirklich das Horrorbild einer Protagonistin ab - zynisch, verlogen, unkollegial, abschätzig, drogenabhängig, flegmatisch und nicht in der Lage, eine (mutige) Entscheidung zu treffen. Stattdessen wartet sie und hofft, dass irgendetwas (z.B. ein Wegeunfall) passiert. Und trotzdem ist ihr Leben, ihre Verzweiflung, so relatable. Ihre feministischen Ideale, mit denen sie in der alten weißen Chauviwelt Spaniens gegen Mauern läuft. Ihre Einsamkeit angesichts des furchtbaren Smalltalks und der Hirnlosigkeit der Kolleg*innen. Die Hoffnung, als da Rita auftaucht, die auch gerne russische Klassiker liest und die Arbeit hasst. Diese absolute und endgültige Verlorenheit im eigenen Leben.

Der Höhepunkt ist laut Klappentext das Teambuiliding-Event, aus dem sich Marisa nicht rechtzeitig herauswinden kann. Sie entscheidet, ein paar Drogen mit dorthin zu nehmen. Und irgendwie hatte ich an diesem Punkt erwartet, dass es noch mehr kippt. Dass irgendetwas Wahnsinniges geschieht. So richtig tritt das nicht ein. Und Teil 2 und 3 des Buches sind im Vergleich zu Teil 1 nur wenige Seiten lang. Es ist alles sehr unterhaltsam, das Ende recht gewagt, aber die Pointe kam bei mir irgendwie nicht ganz rüber. Dennoch ist "Geht so" ein Buch der Stunde, in dem sich sicherlich viele Menschen auf die ein oder andere Art wiederfinden werden.