Prädikat „Geht nicht nur so!”

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lainybelle Avatar

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Ein bisschen hat mich dieses Buch in seiner Art an „Yellowface” erinnert, denn genau wie Rebecca F. Kuang setzt Beatriz Serrano vor allem auf schneidenden Humor und Gesellschaftskritik, die sich in ihren Beobachtungen einer Branche niederschlägt (genauer gesagt der Werbebranche, wobei Serrano aber mehr auf die Arbeitswelt als solche hinauswill, während Kuang sich mit der Literaturszene und ihren Fallstricken beschäftigt).
Dabei steht der Büroalltag der Ich-Erzählerin Marisa im Vordergrund; es gibt relativ wenig Handlung, dafür viel inneres Erleben mit sarkastischen Gedanken, ungeschönten Beobachtungen und Schilderungen ihres Umfelds. Es geht um das Maß an Ersetzbarkeit des Einzelnen in der Arbeitswelt und vielleicht überhaupt in der Welt, ums Sich-Gefangen-Fühlen und ums Versinken im immer und überall verfügbaren Content irgendwelcher Fremden, so wenig er einen auch weiterbringen mag.
Dem lobenden Zitat Elena Medels, dass der Roman „klug und urkomisch„ sei, „auch – oder gerade – weil man sich selbst darin wiedererkennt", wird er tatsächlich sehr gerecht, obwohl ich mich weniger darin wiedererkannt habe als befürchtet; dafür ist der Ton einfach zu resigniert.

Die Protagonistin hat bei mir oft wenig Sympathie ausgelöst, meist eher so etwas wie Mitgefühl oder teilweise Leidensgenossinnenschaft. Sie ist ein interessanter Charakter, weil sie in der Lebenswelt, in der sie sich bewegt, aus dem Rahmen zu fallen scheint und sich doch nicht sicher ist, ob sie das wirklich tut oder vielmehr mit allen anderen zu einer gleichförmigen Masse verschwimmt (so hat sie etwa das U-Bahn-Fahren eingestellt, weil sie Angst hatte, sich selbst mit den anderen Mitreisenden zu verwechseln, vgl. S. 71).

Marisas Tablettenkonsum, der schlussendlich auch den Betriebsausflug etwas anders verlaufen lässt als von der Chefetage geplant, hat etwas Tragikomisches an sich, das ideal zum Charakter der Geschichte passt. Der Teambuildingtrip, den ich durch den Klappentext als Hauptschauplatz vermutet hatte, nimmt dabei allerdings nur einen vergleichsweise kleinen Part im letzten Drittel des Buches ein. Gewissermaßen wird er zum Höhepunkt einer Klimax, zum Ort einer Eskalation.
Das Ende ist ... wild. Aber auch das passt hunderprozentig zur Geschichte.

In einem Satz:

Das Buch legt den Finger auf wunde Punkte, lässt einen schmunzeln, aber mit bedrücktem Blick. Kein Pageturner, aber thematisch sehr gut umgesetzt!