Eine mutige Entscheidung

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missmarie Avatar

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Rezension Gelegenheiten

„Ja, so war das im Leben. Wenn man den ersten Schritt wagte, konnte sich auf einmal alles verändern.“

Karla wagt in Romy Schneiders „Gelegenheiten“ einen ziemlich großen Schritt: Den Freund verlassen, nach Frankreich gehen und schreiben. Denn nach acht Jahren Beziehung merkt die Anfang Dreißigjährige, dass das vermeintliche Luxusleben in Berlin Mitte sie nicht glücklich macht. Irgendwo auf dem Weg in die exquisite Welt der Unternehmensberater, der oberen Schicht und der Parties hat sie sich selbst verloren - und damit auch den Traum, Schriftstellerin zu werden. In Frankreich, so hofft sie, findet Karla genügend Abstand, um mit dem Schreiben voranzukommen und auch sich selbst wieder näher zu sein.

Eigentlich vereint „Gelegenheiten“ all die Dinge, die ich bei Büchern nicht mag: Sprachlich ist der Roman - vor allem auf den ersten fünfzig Seiten - wenig raffiniert gestaltet. Die Sätze sind kurz und knapp und dienen einzig und allein der Informationsvermittlung. Sprachbilder oder weniger nüchterne Sätze sucht man vergebens. Stattdessen werden einige Gefühlslagen der Protagonistin in sich ständig wiederholenden Varianten des gleichen Satzes präsentiert. Vieles in der Handlung ist außerdem recht schwarz-weiß gestaltet: Da das Geld und die Karriere, hier das echte Leben in der Provence mit weniger Luxus, dafür mehr Zeit und Selbstfindung. Im Mittelpunkt steht auch das Schreiben und der Versuch, den ersten Roman zu veröffentlichen. Wie viel Autobiographisches wohl dabei sein mag, darf der Leser rätseln. Auf der Hälfte des Romans erahnt man außerdem die Auflösung am Ende.

An dieser Stelle könnte die Rezension enden. Ein mittelmäßiger Roman, eben ein Debut, das man Lesen kann, aber nicht muss. Allerdings hat mich etwas an ,,Gelegenheiten“ gepackt, sodass ich mehr als die Hälfte des Buches in einem Zug gelesen habe. Vielleicht ist es der Mut der Protagonistin, der den Lesern eine neue Sicht auf ihr eigenes Leben und ihre eigenen Träume werfen lässt. Vielleicht ist es die Konsequenz, mit der sie ihre Entscheidungen trifft und den einmal eingeschlagenen Weg weiter verfolgt. Vielleicht ist es auch nur die Sommerstimmung in Frankreich, die mich so gefesselt hat. Es ist schwer zu sagen, was genau den Sog des Textes ausmacht. Aber das positive Gefühl nach dem Lesen hält noch lange an. Und gerade weil ich so viele Kritikpunkte beim Reinlesen gefunden habe, ist dieser erzählerische Sog ganz besonders zu betonen. Mühelos werden alle Schwächen durch die Stärke der Protagonistin und die Entwicklung der Handlung in Frankreich ausgemerzt.

„Gelegenheiten“ ist also in richtiger Feel-Good-Roman, eine Sommerlektüre für heiße (Urlaubs-)Tage. Eine Hymne auf das Leben, auf mutige Entscheidungen und darauf, auf die innere Stimme zu hören. Vielleicht ist es sogar DAS Buch des Sommers. In jedem Fall sollte man den Text bei einem Glas kühlen französischen Rosé genießen.