Rezension zu "Gelöscht" von Teri Terry

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kathrineverdeen Avatar

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Was sind Erinnerungen wert? Mir persönlich bedeuten sie alles, denn sie haben mich zu diesem Menschen geformt, der ich jetzt bin. Sie machen mich und mein Wesen aus und ohne sie würde ich mich wie eine seelenlose Hülle fühlen. Für mich wäre es unvorstellbar, ohne meine Erinnerungen an meine Familie, meine Kindheit, an die erste Party in meiner Jugendzeit, die erste große Liebe, aber auch den ersten Verlust, weiterzuleben. Vielleicht könnte ich mich auch nicht daran erinnern und würde somit nichts vermissen. Wahrscheinlich würde ich trotzdem immer das Gefühl haben, dass irgendetwas fehlt, also eine Art Phantomschmerz.

„Aber wie kann ich wissen, wer ich jetzt bin, wenn ich nicht weiß, wer ich war?“ Seite 165

Für Kayla ist das eine sehr wichtige Frage. Kylas Gedächtnis wurde gelöscht und ihre Erinnerungen sind für immer verloren. Kyla wurde geslated. Im Jahre 2054 ist es eine gängige Methode, kriminelle Jugendliche wieder in die Gesellschaft zu integrieren. So erhofft sich die Regierung von Großbritannien, die terroristischen Aktivitäten in ihrem sonst so gut überwachten Land einzudämmen. Nach dem Slating muss Kayla alle Fähigkeiten neu erlernen und sich in einer Familie eingewöhnen, die sie nicht kennt. Schwierig, wenn die eigene wahre Identität ein großes Geheimnis birgt. Hinzu kommen die nächtlichen Albträume, die ihr Erinnerungsfetzen aus ihrer Vergangenheit zeigen, die sie eigentlich nicht wissen dürfte. Beim Versuch, die vorhandenen Fetzen zusammenzusetzen, wird ihr eines klar:
„Wer Kayla auch ist, es gibt noch eine andere Person, die sich in ihr versteckt. Und vor ihr fürchte ich mich am allermeisten.“ Seite 170

Fasziniert von der Idee zu dieser Geschichte, machte ich mich mit Kayla auf die Suche nach Antworten. Jedoch waren die nur sehr schwer zu erlangen, denn genau wie Kayla, begibt sich der Leser völlig ahnungslos in diese Handlung und bekommt immer nur kleine Bruchstücke zugeworfen, die es zusammen zu setzen gilt. Es ist, als müsse der Leser alle Entwicklungsstufen zusammen mit Kayla durchlaufen, denn wie alle Slater hat sie nicht nur ihre Erinnerungen sondern auch alle erlernten Fähigkeiten verloren. Nun muss Kayla und auch der Leser diese fremde Welt und das regierende Regime erforschen und verstehen. Da die Autorin nur sehr zögerlich Informationen heraus gibt, muss man als Leser sehr starke Nerven und Ausdauer haben. Hinzu kommt, dass alle Figuren in diesem Buch sehr interessant und undurchsichtig gestaltet sind und sich stetig entwickeln. Sie schleichen sich in das Herz der Leser, wiegen ihn in Sicherheit, lassen ihn zweifeln und enttäuschen ihn auch. Weil die sehr nervenaufreibende Handlung nie ins Stocken gerät, wird es für den Leser nie zu langatmig oder Langweilig. Lediglich kurze Atempausen werden ihm durch eine kleine Liebesgeschichte am Rande gegönnt. Sehr überraschend und gut fand ich, dass „Gelöscht“ seine Spannung ins Unermessliche steigern kann, ohne actionreiche oder gewalttätige Elemente auszukommen. Es ist wie ein psychologisches Spiel mit dem Leser. Was einige vielleicht abschrecken wird, ist das sehr offene Ende. Ich störe mich nicht daran, denn so bleibt eine Geschichte länger in meinem Gedächtnis und ich finde schneller wieder ins Geschehen, auch wenn man auf die Fortsetzung, wie in diesem Fall, fast ein ganzes Jahr warten muss. Auch die Hintergründe dieser Geschichte waren durchweg interessant und haben mich sehr nachdenklich werden lassen. Dieses zukünftige fiktive Regime in Großbritannien ist nicht weit hergeholt. Die Menschen leben dort in einem Überwachungsstaat und sind gläsern. Sie können sich nicht frei bewegen ohne dass es dem Regime entgeht und jede unüberlegte Handlung kann schreckliche Folgen haben. Ich kam nicht umhin Parallelen zur heutigen Zeit zu finden, denn es gibt sehr starke Entwicklungen zum „gläsernen“ Bürger. Auch nach dem Lesen beschäftigte mich dieses Thema nachhaltig.

„Gelöscht“ von Teri Terry ist ein sehr gelungener und spannender Auftakt zu einer neuen dystopischen Reihe, mit einer genialen Idee zu einer Zukunftsvision.