Gewinner und Verlierer

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Geschenkt? Tolle Sache! Aber irgendwie auch komisch! Die meisten nehmen gerne Geschenke an. Aber: In gewisser Weise ist so ein Geschenk auch eine Verpflichtung!
Das gilt für das Leseexemplar „Geschenkt“ und das gilt auch für die Geschichte, die im Buch erzählt wird.
Was es mit dieser Geschichte auf sich hat, ob sie lesenswert ist, dazu nun mehr, wie üblich, Stück für Stück.



1. Der Autor:
Daniel Glattauer? Ja, da war doch was?! Stimmt, Glattauer hat mit seinem ungewöhnlichen Roman „Gut gegen Nordwind“ für Aufsehen gesorgt. Der Nachfolger Roman? Das war eine Fortsetzungsgeschichte des großen. Und jetzt? Eine andere Geschichte mit anderen Figuren. Doch bevor es dazu weitergeht noch kurz was zu Glattauer: „Gut gegen Nordwind“ war NICHT sein Erstlingswerk. Das stammt aus dem Jahr 1997 heißt „Theo und der Rest der Welt“. Da hat Glattauer eine ganze Reihe weiterer Werke geschrieben kurz und lang Theatergeschichten, Romane.
Dem Schreiben hat Glattauer noch viel früher angefangen. Der 1960 in Wien geborene Autor schrieb 20 Jahre lang für Zeitung „Der Standard“.

2. Ort und Zeit der Handlung
Oft ist es wichtig dafür, ob man eine Geschichte mag oder nicht wann und wo sie spielt. Ich hab's ja gerade erwähnt, Glattauer stammt aus Wien. Dort spielt auch „Geschenkt“. Einzelne Worte einzelner Redewendungen sind vielleicht auch typisch österreichisch. Aber: eigentlich könnte die Geschichte genauso gut in Berlin, Dortmund, Hamburg, in Bern oder Zürich spielen oder in den USA oder sonst so auf sonst wo auf der Welt. Die Zeit, ist die Gegenwart.

3. Die Hauptfigur
Gerold Plassek ist ein Verlierer – zumindest zu Beginn der Geschichte. Er ist 43, Alkoholiker, Schreiberling in einem Gratis-Blättchen, geschieden, solo. Mit mir hat dieser Gerold Plassek wenig gemein. Vielleicht noch die Liebe zum Schreiben. Aber sonst? Sonst nicht viel. Warum soll man ihn also mögen? Denn für eine wirklich gute Geschichte ist es wichtig, dass man die zentralen Figuren mag. Man sollte Gerold Plassek mögen, weil er ein liebenswerter Verlierer ist. Ja, er hat ein wenig resigniert. Aber: die Resignation geht nicht so weit dass er komplett aufgibt. Und er berappelt sich! Das zeigt die Geschichte.

4. Die Geschichte
Gerold trifft Manuel. Manuel ist 14, ein mundfauler Teenager. Und Manuel ist Gerold Sohn. Genau das, hat die rollt gerade eben erst erfahren. Manuels Mutter Alice, war eine kurze Affäre von Gerold. Jetzt will Alice für Ärzte ohne Grenzen nach Afrika. Und Gerold soll helfen, in der Zeit auf Manuel aufzupassen. Die beiden haben sich praktisch nichts zu sagen. Gerold sitzt in seinem Büro schreibt seine kurzen Passagen für das Gratis Blättchen „Tag für Tag“. Das Schreiben fällt Gerold schwer, denn er ist Alkoholiker. Doch kurze Sozialreportagen kriegt er hin. Und dann kommt die nächste Überraschung: einer seiner kurzen Artikel sorgt für Aufsehen, ein Unbekannter schickt dem Hilfsprojekt, über das Gerold geschrieben hat, 10.000 Euro – und er schickt den kleinen Ausschnitt, den Gerold geschrieben hat, mit.
Es bleibt nicht bei diesem ersten Geschenk. Nach und nach gibt es weitere Artikel von Gerold, und weiter 10.000 Euro Geschenke vom anonymen Spender. Bei „Tag für Tag“ ist klar: Eine aufstrebende junge Journalistin soll her, die richtige Sozialgeschichten schreibt, um dem anonymen Geldgeber noch mehr Euros zu entlocken. Doch tatsächlich sind es immer Gerolds Geschichten, die für Aufsehen und für weitere anonyme Spenden sorgen.
Während sich Vater und Sohn zunächst zunächst gar nichts zu sagen hatten, kommen sich die beiden nun immer näher, denn Manuel hilft Gerold bei den Recherchen für seine Geschichten. Und er bittet Gerold auch, ihm selber zu helfen. Machi, ein Schulfreund von Manuel, ist nämlich Tschetschene und die österreichischen Behörden wollen den Jungen und seine Familie abschieben. Gerold und Manuel schreiben über die Familie. Aber der Artikel über eine tschetschenische Asylbewerber Familie passt so gar nicht in die heile Welt, die das Gratis-Blättchen „Tag für Tag“ vermitteln will. Gerolds Chef weigert sich, den Artikel zu drucken. Daraufhin kündigt Gerold. Aber wie soll er nun sein Versprechen halten, dass der Bericht in der Zeitung erscheit und damit Machi und seine Familie in Österreich bleiben dürfen? Gerold nimmt seinen Mut zusammen und bietet die Geschichte dem liberalen Blatt „Neuzeit“ an. Die dortige Chefin findet den Artikel gut, und druckt ihn. Wieder schickt der anonyme Spender 10.000 €, damit Machis Familie einen Anwalt engagieren kann – Manuels Freund und seine Eltern dürfen in Wien bleiben.
Außerdem begleitet Gerold seinen Sohn kommt zur Zahnärztin. Gerold hat eine ungeheure Angst vor Zahnärzten. Aber die hübsche Rebecca hat es Ihnen sofort angetan. Doch die Zahnärztin scheint ihn gar nichts zu bemerken. Gerold nimmt allen Mut zusammen, und entscheidet sich, von Rebecca seine Zähne machen zu lassen.
Das sind noch nicht alle Baustellen im Gerold Leben. Er hat noch eine Tochter. Sie lebt bei ihrer Mutter und ihres Speichen Stiefvater. Gegen den Lobbyisten Berthold Hille, kamen Gerold sogar nicht bestehen – glaubt er. Doch dann merkt Gerold, dass er seiner Tochter mit seiner bodenständigen Art sehr wohl helfen kann.

5. Themen
**a) Gewinner und Verlierer
Ich habe die Zusammenfassung der Geschichte abgebrochen, es gibt noch sehr viel zur Handlung von „Geschenkt“ zu sagen. Aber ich will nicht zu viel verraten. Eine der wichtigen Fragen ist vielleicht: „Ist dieser Gerold nun ein Gewinner oder ein Verlierer“? Ich würde sagen: Er ist ein bißchen beides. Und vielleicht ist genau das ein guter Grund, die Geschichte zu lesen. Gerold ist ein „Mensch“ wie Du und ich: Er hat Stärken, er hat Glücksmomente, er hat Fähigkeiten, aber vieles in seinem Leben läuft auch reichlich unrund: er ist mit seinem Job unglücklich, er ist – im Vergleich zum Stiefvater seiner Tochter – ein Verlierer, er ist Alkoholiker, er hat keine echte eigene Familie. Aber: Er erzählt trotz seiner alkoholbedingten Konzentrationsschwierigkeiten gute Geschichten. Er schafft es, die ausschweifenden Erzählungen seiner Gesprächspartner und auch die Textvorschläge von Manuel auf den Punkt zu bringen. Er schafft es – mit Hilfe des unbekannten Spenders – wichtige Hilfsprojekte zu unterstützen und Menschen glücklich zu machen.
Er schafft es, den anfangs so verschlossenen Manuel zu begeistern.
Er schafft es schließlich doch, die Aufmerksamkeit von Rebecca, der schönen Zahnärztin, zu gewinnen.
Er schafft es, bei der deutlich renommierteren Zeitung „Neuzeit“ zu landen.
Ist Gerold also ein Gewinner oder ein Verlierer? Ein bißchen von beidem – und das ist ein Grund, warum die Geschichte so gut ist.

**b) Alkoholismus
Ich muss ein wenig Wasser in den Wein gießen. Nur ganz wenig. Das ist natürlich für Kenner dennoch unsauber. Aber eine Kritik muss ja auch kritisch sein.
Das Thema Alkohol anzugehen, ist grundsätzlich gut. Denn Millionen Menschen haben ein kleineres oder größeres Alkohol-Problem. Ja, ich bin vielleicht ein bißchen spießig, weil ich das anspreche. Klar, bei Gerold ist es auch das Feierabend-Bier, das Bier in der Kneipe mit seinen Kumpels, soweit alles schick. Aber: Bei Gerold ist es ja nicht nur das. Er muss trinken, um zu schreiben. Er muss trinken, wenn er damit fertig ist und dann noch einmal und noch einmal. Ein wenig stichelt Manuel dagegen – aber nur ein wenig. Es ist verwunderlich, dass Gerolds alter Chef nicht auf den Tisch haut, es ist verwunderlich, dass die neue Chefin das nicht bemerkt bzw. kritisiert, es ist verwunderlich, dass auch die Zahnärztin Rebecca nichts sagt.
Gut, Glattauer baut in die Geschichte eine kleine Wendung ein: Der anonyme Spender schickt Gerold zu einem Projekt, dass Alkoholkranken hilft. Und der zuständige Arzt erkennt in dem Reporter auch gleich einen Betroffenen. Trotzdem scheint dass Gerold von seinem Alkohol nicht abzuhalten.
Klar: Es wäre eine komische Wendung gewesen, wenn sich Gerold von selbst von jetzt auf gleich den Alkohol gestrichen hätte. Klar, es wäre auch komisch gewesen, wenn er in eine Suchtklinik gegangen wäre. Aber: Ein etwas deutlicherer Schritt, wirklich weniger zu trinken, der fehlt mir.

**c) Vater
Was ist ein guter Vater? Einer, der das Geld nach Hause bringt, meinen manche. Das ist viel zu wenig! Meinen vieler anderer. Der Vater, sollte für seine Kind da sein. Aber wie, wenn man mit dem Kind nicht zusammen lebt? Wenn man das Kind jahrelang nicht gesehen hat? Geeold versucht es auf einfache, aber auch wirkungsvolle Weise. Er ist für seine Kinder da. Egal ob es seine Tochter ist, die mit ihrem Liebeskummer zu ihm kommt, ober Manuel, der Hilfe für seinen Freund Machi braucht.

6. Pro & Contra
Pro:
- sehr gute Hauptfigur
- gute Themen
- tolle Sprache

Contra:
- Thema Alkoholismus


7. Fazit
Ich bin eine Gewinnerin – denn ich durfte „Geschenkt“ vorab lesen. Die Geschichte ist wie ein gutes Essen, dass man gerne genießt und von dem man hinterher sagt: Schade – dass es vorbei ist.
Es sind im wesentlichen drei starke Argumente, die für Glattauers neues Buch sprechen. Das eine heißt Gerold Plassek, ist die Hauptfigur, ist ein liebenswerter Verlierer, der sich zum Gewinner mausert. Auf dem Weg dahin schneidet Glattauer gute Themen an: Helfen, schenken, füreinander da sein, Familie, Freundschaft, Ehre. Das alles erzählt er mit einer guten Sprache, geschwungen und doch angenehm schnörkellos.
Die einzige Mini-Schwäche ist der Umgang mit dem Thema Alkoholismus. Der ist mir etwas zu unkritisch, Hauptfigur Gerold braucht den Alkohol, wird zwar gelegentlich dafür kritisiert, aber nicht wirklich wach gerüttlt.
Doch das ist von mir Kritik auf hohem Niveau. Ich schätze, „Geschenkt“ wird es in die Bestsellerlisten schaffen. Ich wünsche es dem Buch, dem Autor, der Geschichte.
Fünf Sterne !