Ein forderndes Buch
Dieses Buch fordert den Leser. Das meine ich keinesfalls negativ sondern im positiven Sinne. Ein Tech-Milliardär, eine Stadt im Osten Deutschlands, ein neues Modell des Zusammenlebens. Alles kinderleicht per App. Mitbestimmung auf Knopfdruck. Klingt verrückt, scheint in Weimar aber Wirklichkeit zu werden. Vor diesem großen Plan, die Gesellschaft zu verändern, Zusammenleben neu zu denken, gerät sogar der Tod zur Nebensache. Gabi, die Mutter von Isabelle und Annika liegt nach einem Schlaganfall im Sterben. Doch das Abschiednehmen wird verdrängt vom Coup des Jahrhunderts. Ein reicher Amerikaner möchte eine neue Stadt, eine neue Gesellschaft gründen. Jeder ist Teil der Idee, darf mitgestalten, mitbestimmen. Für Isabelle, Lehrerin, wird die kritische Auseinandersetzung mit der Idee zur Passion. Gemeinsam mit ihren Schülern diskutiert sie, bringt sich ein. Ganz anders ihre Schwester Annika, die zum Abschiednehmen aus den USA gekommen ist. Sie steht der Idee zunächst recht emotionslos gegenüber. Ihr Freund ist sofort Feuer und Flamme. Durch die verschiedenen Perspektiven wird die Geschichte, die Idee, facettenreich beleuchtet. Dabei gefällt mir besonders Dagmar, die Tante. Gebildet, aber auch ein bisschen einsam, setzt sie sich besonders intensiv mit der Idee auseinander. Über die Trauer, aber auch die Diskussion über eine neue Gesellschaft, kommt sich die Familie näher. Das liest sich sehr kurzweilig. Die Passagen, die Chatverläufe oder auch Podcast-Diskussionen behandeln, sind etwas schwieriger zu lesen. Die Posts fremder Menschen, Normalos, Fanatiker, Schwurbler lockern auf, machen den Lesefluss aber auch nicht einfacher. Daher ist die Lektüre nichts was sich in einem Rutsch weglesen lässt. Der Leser ist gefordert, sich mit den verschiedenen Formen der Diskussion, der Kanäle, aber auch mit dem Inhalt kritisch auseinanderzusetzen. Dabei gibt es keine schnelle Meinung. Was ist richtig, was falsch? Der Roman greift nicht nur mit dem Thema sondern auch mit dem Schreibstil unsere Zeit und den Ton, der Kommunikation und Diskussionskultur sehr treffend auf.