Die Nähe zwischen uns

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Auf den 380 Seiten in "Gespräche mit Freunden" passiert nichts Weltbewegendes an Handlung - und doch so viel: der aufmerksame Leser entdeckt in den Gesprächen und der Selbstreflexion der Ich-Erzählerin Frances das Weltbild der Y-Generation innerhalb eines kleinen Kreises an Menschen. Das ist die Kunst der viel gelobten Autorin Sally Rooney.

Die beiden Freundinnen und Anfangzwanziger Bobbi und Frances waren früher auf der Highschool ein Paar, heute studieren sie beide an der Dubliner Prestige-Uni, sind klug, kommunistisch angehaucht und verbringen ihre Zeit auf Literaturveranstaltungen, bei denen sie auch selbst Gedichte vortragen.
Auf so einer Spoken-Word-Veranstaltung wird die 37-jährige Fotografin Melissa auf die beiden aufmerksam - sie möchte ein Porträt über sie verfassen und die Vierer-Geschichte nimmt ihren Lauf. Bobbi ist fasziniert von Melissa und Frances fängt eine Affäre mit deren Ehemann Nick, ein mittelmäßiger aber sehr gutaussehender Schauspieler an. Was wie ein Groschenroman klingt, macht süchtig: Man möchte immer mehr über die jeweiligen Personen erfahren. Diese Rolle übernimmt Frances als Erzählerin und scharfsinnige Chronistin ihrer Mitmenschen. Nach außen immer unantastbar und mit ironisch-klugen Aussagen bewappnet, plagen sie innerlich Selbstzweifel und abgespaltene Gefühle. Die Affäre mit Nick bringt sie an ihre Grenzen an Gefühlswallungen, die sie viel lieber intellektuell begreifen möchte.

In langen Gesprächen bei Wein werden immer mehr Konflikte sichtbar - nach und nach gibt die Autorin Details von ihren Charakteren preis, die nach Nähe und Intimität suchen und doch immer wieder an gewissen Distanzen scheitern - bis bei einigen Auseinandersetzungen auch der Wein nicht mehr hilft beim Herunterspülen von angestauten Gefühlen. Und der Leser darf bei dieser Innenschau immer ganz nah dabei sein und darf mitlauschen, wie die Vier Themen der Welt und Zwischenmenschliches abhandeln. Und doch bleibt die Autorin bei Vielem vage, damit der Leser noch seine eigene Fantasie miteinfließen lassen kann. Das alles ergab für mich ein sehr warmherziges und raffiniert komponiertes Debüt und ein kleiner Gesellschafts-/Bildungsroman anhand vier Personen, denen man nur zu gerne ein Stück lang gefolgt ist.