Verwundbarkeit schmerzt

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amara5 Avatar

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Frances und Bobbi sind sehr gut befreundet, waren früher ein Paar, studieren am gleichen College in Dublin, sind Anfang Zwanzig - begabt und intellektuell. Gemeinsam treten sie bei Spoken-Word-Wettbewerben auf, die eher introvertierte Frances schreibt, die schlagfertige Bobbi performt.
Frances jobt in einem Literaturverlag, weiß aber nicht, wohin ihr Leben gehen soll und warum sie überhaupt mehr als 16.000 Euro jährlich verdienen soll.
Bei einer Veranstaltung lernen die beiden das ältere Künstler-Ehepaar Melissa und Nick kennen - während Bobbi für die Fotografin schwärmt, fangen Frances und der Schauspieler eine längere Affäre an.
Nach außen gibt sich Frances cool, unnahbar, ironisch und lässt sich oft von ihrem eigenen Verstand blockieren - doch innerlich wird sie von Selbstzweifeln geplagt und viele ihrer Emotionen erträgt sie nur, indem sie sich physische Schmerzen zufügt. Ihre eigene Verwundbarkeit macht ihr große Angst - doch sie muss sich ihr stellen, als eine schmerzhafte Krankheit sie einholt, die einen gewissen Kontrollverlust verursacht.

Sally Rooney ist in anderen Ländern bereits mit 28 Jahren ein Shootingstar und ihr Buch soll verfilmt werden - in Deutschland ist es der erste übersetzte Roman. "Gespräche mit Freunden" lässt sich so einfach, so unverstellt lesen und obwohl viele Handlungsstränge ins Offene laufen, faszinieren die Dialoge der Hauptdarsteller und Frances scharfsinnige Beobachtungsgabe menschlicher Interaktionen und die Reflexion ihrer eigenen Lage. Denn für sich selbst bleibt sie lange Zeit blind - fühlt sich trotz Begabung minderwertig. Die Konstellation älterer, verheirateter Mann fängt eine Affäre mit junger Studentin an klingt abgedroschen, aber Rooney schafft eine süffisante Millieu-Studie, die in der Vierer-Konstellation in Frankreich einen Höhe- und Wendepunkt einläutet und die man kaum aus der Hand legen kann. Es ist nicht allein die Handlung, die reinzieht, sondern Frances Umkreisen ihrer Beziehungen und ihre Freundschaft zu Bobbi - eine Faszination füreinander, die beide immer wieder loyal zueinander stehen lässt trotz zahlreicher Konflikte. So ist das Buch absichtlich unvollständig, so unvollständig erzählbar wie es eben zwischenmenschliche Beziehungen auch in der Wirklichkeit sind. Und trotzdem ist es eine pure Freude, den feinsinnigen und warmherzigen Konversationen der Freunde, die kunstvoll in die Ich-Erzählung von Frances verwoben werden, zu folgen - ich jedenfalls konnte mich ihnen nicht entziehen und finde es ein unverstellt umwerfendes Debüt!