Wenn die Vergangenheit trennt und nicht vereint

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evelynm Avatar

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Zufällig hört Nadja bei einem Radiointerview eine ihr wohl vertraute Stimme: die ihrer Tochter Lena und ihre eigene! Zunächst denkt Nadja nicht weiter darüber nach, denn ihr Leben mit Ehemann Ralph und Lena läuft in geregelten Strukturen. Ihr Verhältnis zur Adoptivmutter und dem Stiefvater Herbert bekommt einen Riss, als Nadja plötzlich anfängt, nach ihrer „wahren“ Herkunft, sprich ihren biologischen Eltern zu fragen. Sie beginnt Nachforschungen und stößt dabei auf Pia, ihre Zwillingsschwester. Damit beginnt nicht nur für Nadja und Pia, sondern auch für deren Familien ein Spießrutenlauf, denn über die Vergangenheit der Zwillingsschwestern will niemand in den Familien reden und sie stoßen auf eine Mauer von Schweigen, Halbwahrheiten und Lügen. Besonders Nadja stürzt sich wie besessen auf die Suche nach ihrer Identität, hat sie vermeintlich stets etwas in ihrem Leben vermisst. Doch wieviel Wahrheit erträgt sie? Wird ihr bisheriges Leben noch Bestand haben? Und wie hoch ist der Preis für die Suche nach ihren leiblichen Eltern?

Nur zögerlich lässt sich die gemeinsame Vergangenheit von Nadja und Pia wie ein Puzzle zusammensetzen. Dabei kommen viele unschöne Familiengeheimisse ans Licht und selbst das Verhältnis der wiedervereinten Zwillinge bringt das Leben aller Beteiligten ins Wanken. In einem Konstrukt aus Lügen, Halbwahrheiten, Widersprüchen und Schweigen verrennt sich Nadja in ihrer Suche nach ihrer Herkunft. Dabei schwanke ich immer wieder zwischen Sympathie und völligem Unverständnis für diese Frau! Die Suche nach ihren Wurzeln verfolgt Nadja mit solcher Vehemenz und fast schon Besessenheit, dass sie dabei die ihr nahestehenden Menschen beinahe aus den Augen verliert. Allein ihre Tochter Lena, die Psychologie studiert, scheint dafür Verständnis zu haben und spricht ihr gut zu. Ihre Adoptivmutter mauert und will nicht mit der ganzen Geschichte um Nadjas Herkunft herausrücken. Auch wenn die Männer in diesem Roman nur eine untergeordnete Rolle spielen und die Frauen im Fokus stehen, haben sie mich doch nachhaltig beeindruckt. Rainer, Herbert und Ralph sind wahre Ruhepole und stehen mit all ihrer Liebe zu ihren Frauen, auch wenn die bisweilen übers Ziel hinausschießen und die Tragfähigkeit ihrer Ehen bis an ihre Grenzen austesten. Die Charakterzeichnungen sind für mich der Teil der Geschichte, der mir wirklich ans Herz ging und mich durch den Roman trug.
Äußerlich sind Nadja und Pia sofort als Zwillingen zu erkennen, als würden sie in den Spiegel schauen. Doch vom Wesen her trennen die beiden Welten, was nicht zuletzt auf ihr getrenntes Aufwachsen zurückzuführen ist. Diese Diskrepanz hat die Autorin ganz hervorragend beschrieben und die Zerrissenheit der beiden Schwestern so anschaulich dargestellt, dass ich mich teils gut in sie hineinversetzen konnte.
Was mich allerdings neben Nadjas Hartnäckigkeit und Versessenheit immer wieder gestört hat, war das ständige Kaffeekochen und – trinken. Da fühlte ich mich ins England historischer Romane versetzt, in denen sämtliche Probleme, Streit und Neid bei einer Tasse Tee lösbar schienen.