Ginsterburg verloren

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hurmelchen Avatar

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Was habe ich Arno Franks Debütroman „So, und jetzt kommst du“ geliebt, und wie grandios finde ich viele seiner Reportagen und Essays, aber mit seinem neuen Buch „Ginsterburg“ trifft er leider nicht ins Schwarze.
Der Roman erzählt vom Mikrokosmos eines Städtchens in Deutschland in den Jahren 1935, 1940 und 1945. Jahre, in denen sich die grausame Diktatur der Nationalsozialisten ungehindert ihren zerstörerischen Weg bahnen konnte. Helfeshelfer waren nicht zuletzt unbescholtene Bürger eben solcher Kleinstädte, wie dem fiktiven Ginsterburg.
So präsentiert Arno Frank den LeserInnen eine Vielzahl von Bewohnern dieser Stadt, aber die meisten sind leider holzschnittartig und bleiben ohne Tiefe. Da gibt es den jungen Lothar, der Flieger werden will, und seine Passion auch in den Dienst eines mörderischen Regimes stellt, seine Mutter Merle, die entsetzt über die Ambitionen ihres Sohnes ist, den Redakteur und Schriftsteller Eugen, der größeres im Kopf hat, als seinen Posten bei der Lokalzeitung, zudem ein Verhältnis mit Merle beginnt, obwohl er mit Ursel verheiratet ist, und mit ihr die Tochter Gesine hat, die wiederum in späteren Jahren die Braut von Lothar wird. Klingt schon beim Aufzählen, wie ein Lore - Roman.
Garniert wird diese Melange aus Protagonisten noch mit einer ganzen Reihe Nebenfiguren, sowie Briefen, Zeitungsausschnitten und nicht zu vergessen, dem Schicksal des RAF Piloten Alfie, der 1945 über Ginsterburg abstürzt, und dessen Gedanken den jeweiligen Prolog der einzelnen Roman - Abschnitte bilden.
Franks hehre Absicht mit diesem Buch war, die Ähnlichkeit zwischen 1935 und unserer heutigen politischen Lage zu demonstrieren, wie aus ganz normalen Menschen Mitläufer werden, die ein ganzes Land in den Untergang führen.
Das ist durchaus anzuerkennen, aber die Mittel, die er nutzt, gehen nicht auf.
Am Anfang schon werden Figuren etabliert, wie die Besetzung eines Zirkus, die im Verlauf der Handlung nur noch einmal ganz kurz auftauchen, alle Protagonisten treffen wichtige Entscheidungen quasi im Off - Eugen meldet sich zu den Waffen, Lothar und Gesine verloben sich, Eugens Schwägerin verliert den Verstand- und alles wird behauptet. Womit wir wieder bei der Lektion „Show, don‘t tell“ wären. Die sehr biedere Geschichte mäandert vor sich hin, aber die wirklich interessanten Begebenheiten und Wendepunkte bekommt der Leser nicht mit.
Zugegebenermaßen gibt es immer wieder grandiose Szenen, wie die Darstellung des Blutrausches der Wehrmachtssoldaten in Frankreich, beim Abschlachten eines Kranich- Schwarms. Da blitzt Franks ganze Könnerschaft auf. Auch die letzten zwanzig Seiten gehen an die Nieren, wenn der Untergang der Stadt beschrieben wird.
Wirklich fahrlässig von Autor und Verlag hingegen ist, dass darauf verzichtet wurde, in einem Nachwort zu erwähnen, dass Lothar Sieber und Eugen Bachem historische Persönlichkeiten waren. Zudem gibt es sehr viele Fehler in diesem Roman ( Hitlers Berghof lag nicht in der Nähe von Garmisch, sondern von Berchtesgaden u.a.), auf die andere LeserInnen ebenfalls schon hingewiesen haben.
„Ginsterburg“ hätte ein vielstimmiges Mosaik der Zeit und Gesellschaft werden können, ist aber nur ein zerfledderter Flickenteppich geworden.