Siehst Du nicht schon das Verderben.....

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Mit seinem Roman “Ginsterburg” hat Arno Frank einen großartigen Roman über die Ereignisse der Zeit zwischen 1935 und 1945 geschrieben. Schon das eindrucksvolle Hardcover zeigt, dass sich der Krieg auch dieser deutschen Kleinstadtidylle nähern wird und dass es kein Entrinnen gibt.

Arno Frank erzählt durch seine Protagonisten von der Entmenschlichung dieser Jahre in Miniaturen, die sich jedoch in ihrer Gesamtheit zu einem Tableau des Schreckens vereinen. Noch scheint der Krieg in weiter Ferne, doch die Indoktrinierung hat bereits begonnen. Lothar Sieber, der vom Fliegen träumt, tritt der Hitlerjugend bei, obwohl er ein nachdenklicher Junge ist, der gemobbt wurde. Denn die Uniform hat Macht verliehen, den brutalen Söhnen des Kreisleiters, dem Kreisleiter selbst, der nicht zögert, ein Jagdschloss zu requirieren, aus dem Juden vertrieben wurden. So war das, sie waren einfach fort. Und haben dabei noch gewinkt, was für eine Frechheit! Auch Eugen von Wieland, ein dem Regime anfangs kritisch gegenüber stehender Journalist des Ginsterburger Anzeigers, nimmt gerne die Karriere und die Privilegien an, als er Schriftleiter werden und für die Partei arbeiten kann. Manche, wie Eugens Frau und seine Tochter, sind sowieso schon von der neuen Ideologie begeistert und verblendet.

Otto Gürckel, im Zivilberuf Blumengroßhändler, nunmehr Kreisleiter, ist bestrebt, die Kleinstadt Ginsterburg kriegstauglich zu machen. Doch der Krieg ist noch weit weg, solange seine Söhne nicht an der Front stehen. Journalist Eugen, der auch an der Front noch das Schöne sucht, wird mit einem Kriegstrauma zurückkommen und auch im Privaten seinen Opportunismus nicht ablegen. Menschliche Tragödien stehen neben Pragmatismus und Herzlosigkeit. Ein behindertes Kind, das ist eine Ballastexistenz, also ab in eine Anstalt. Daneben röhren die Silberpfeile und im Lichtspieltheater kann man Heinz Rühmann bewundern.

Der Ablauf des Geschehens wird akribisch beschrieben, denn nur wenn es gelingt, das Böse in seiner Gesamtheit darzustellen, braucht man es nicht beim Namen zu nennen. So wird es oft wie nebensächlich hingeworfen. Stabsarzt Hansemann, der stolz einen drei Monate alten Fötus im Reagenzglas zeigt, der erste induzierte Abort, die schwachsinnige Mutter käme ihr Töchterchen manchmal besuchen. Später wird er Gefallen an furchtbaren Experimenten finden. Kraniche,- in vielen Kulturen Symbol des Friedens- die unter Feuer genommen werden, es ist langweilig, kein Feind in Sicht. Die Wahrsagerin Zola, die das Unheil kommen spürt, als sie die Hand des Kreisleiters hält. Zola, die dem Wahnsinn verfällt; zwar vor Hansemann gerettet, aber später als katatonische Wachsfigur in Paris ausgestellt. Der Irrsinn in all seinen Facetten, eingebettet in ein eigentlich beschauliches Leben in einer Kleinstadt- und doch, die Vorahnung verheißt Unheil, holt alles von den Dachböden, macht die Keller bombensicher!

“Ginsterburg” ist ein Roman, der es den Lesenden nicht leicht macht. Sehr viele Charaktere stehen symbolhaft für die jeweilige Art, wie das Regime Menschen verfolgt und wie es gelingt, von der neuen Ordnung zu profitieren. Hier wäre ein Namensverzeichnis hilfreich gewesen. Besonders fehlt ein Epilog, der verdeutlicht, was in diesem Roman historische Realität und was Fiktion ist. Die Stärke des Romans aber liegt in seinen gekonnten Umschreibungen des Unmenschlichen und so Unabwendbaren. Selbst Eugens Vater, ein Kriegsveteran, kennt den Sinn des Krieges nicht mehr, vor einiger Zeit habe er ihn doch noch gewusst. Und ist der Krieg die Hölle? Nein, er ist schlimmer, erkennt Lother Sieber, der für seine Tapferkeit ausgezeichnete Pilot, der viele feindliche Flugzeuge abgeschossen hat. Gewissensbisse? Eigentlich nicht, denn da gab es einen Punkt, an dem er aufhörte, die feindlichen Flieger als Menschen zu betrachten. So ist “Ginsterburg” ein Aufschrei gegen den Krieg, gegen Faschismus und Unmenschlichkeit.

In seinem tiefgründigen und doch so viel Persönliches erzählenden Roman stellt Arno Frank den Lesenden die Frage, ob die Menschen das Unheil kommen sehen konnten, wie weit die eigene Verantwortlichkeit geht und wie Menschen scheinbar ohne Gewissen ihren Mitmenschen begegnen konnten. Dazu braucht er keine lauten Töne, es entstehen subtil realitätsnahe, oft erschreckende Menschenbilder. In einem Zeitungsbericht am Ende des Buches aus dem Jahr 2025 macht der Autor auch klar, wie wenig die Zeit des Nationalsozialismus aufgearbeitet wurde. Wie ein Hohn erscheint es, dass ein Gymnasium nach Dr. Hansemann benannt ist.

Für mich ist “Ginsterburg” einer der besten Romane, die ich über diese Zeit gelesen habe. In einzelnen Szenen, die immer wieder bedingen, sich mit den Protagonisten, ihren Lebenswelten und ihren Schicksalen auseinander zu setzen, entsteht das Bild einer Epoche, die vielen Menschen keine Wahl ließ, über ihr Leben zu bestimmen, die die Frage aufwirft, ob es für sie Raum gab, menschlich zu bleiben. So wie sich der abstürzende britische Bomberschütze unaufhaltsam dem deutschen Boden nähert, nach jeder beschriebenen Zeitspanne etwas mehr, so hat der Sog dieser Zeit so viel Leid, Unglück und persönliches Versagen hervorgebracht. So viel verschwendetes Leben!
Soll man Bücher über diese Zeit heute überhaupt noch lesen? Solche Bücher muss man lesen! Wider das Vergessen und dankbar dafür, diese Schrecknisse nicht selbst erlebt zu haben. Von mir daher eine absolute Leseempfehlung und verdiente fünf Sterne.