Von Einer, die loszog...

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griseldis2000 Avatar

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Gipskind? Was ist das denn? Schon der Titel irritiert, bricht Lesegewohnheiten. Und das tut auch der Schreibstil. Distanziert und schnörkellos wird von „der Kleinen“ berichtet, die wahrlich keinen leichten Start ins Leben findet. Hätte sie nicht die gute Großmutter, das arme Gipskind wäre schon längst emotional verhungert und gestorben.
Die Geschichte beginnt in Österreich auf dem Dorf in den Sechzigern und man glaubt es kaum wie normal es noch vor fünfzig Jahren war, kleine Kinder mit unfassbarer seelischer Grausamkeit zu behandeln. Schwarze Pädagogik, „ Lass sie schreien, bloß nicht „verzärteln“, das ist die Devise der lieblosen Mutter, die schon so viele Babies verloren hat, dass sie gar nicht mehr mitzählt.
Aber „die Kleine“ ist stark. Sie hat einen unbändigen Willen, ist neugierig, klug und mutig, lässt sich nicht den Mund verbieten, auch wenn es dafür Schläge hagelt.
Die Großmutter stärkt ihr immer den Rücken.
Das Gipskind wächst trotz aller Widrigkeiten zu einer selbstbewussten jungen Frau heran.
Das ist faszinierend- stimmig geschildert. Ich mag den Schreibstil und auch die Protagonistin, wenn ich mich auch manchmal frage, warum sie nicht mehr Zweifel hat, nicht hadert, nicht scheitert. Und doch beeindruckt mich die genaue Beobachtungsgabe der Autorin, ihr unverstellter Blick auf den Irrwitz gesellschaftlicher Zwänge.
So rundet sich die intensive Geschichte zum Ende mit dem ( Achtung Spoiler) Tod der Großmutter.
Gerne habe ich das gelesen, es hat mich beeindruckt. Ich bin zur selben Zeit wie das „Gipskind“ geboren und schätze mich glücklich, nicht ihre schwierigen Voraussetzungen gehabt zu haben. Ansonsten kam mir Vieles schmerzhaft bekannt vor.
Ein großartiger Roman, dem ich viele LeserInnen wünsche.