Das Ungesagte verarbeiten

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Kaan ist als Sohn eines deutschen Vaters und einer armenisch-türkischen Mutter in Deutschland aufgewachsen. Regelmäßig haben sie in den Sommerferien die Großeltern am Schwarzen Meer besucht, bis diese Ende der 90er Jahre gestorben sind. Nun hat er als Komponist ein Stipendium für einen Studienaufenthalt in Istanbul bekommen und reist mit seiner Tochter aus der gescheiterten Beziehung zu seiner Jugendfreundin in die Türkei. Und da kommt alles wieder hoch in ihm: die Erinnerungen an seine Großeltern, an die Aufenthalte am Schwarzen Meer, an die wenigen Geschichten aus der Vergangenheit, die man ihm erzählt hat. Und so beschäftigt er sich mit dem Völkermord an den Armeniern, über den in seiner Familie kaum gesprochen wurde. All das Ungesagte, Ungeklärte hat immer schon in ihm gewirkt, aber nun will er es aufarbeiten, um seinen Frieden zu machen. Er will zu Rache oder Vergebung gelangen.

KOMMENTAR
Das Buch behandelt eine weite Zeitspanne von 1913 bis in die nahe Gegenwart, wir beginnen, als Kaans türkischer Großvater ein Jugendlicher ist und enden, als Kaan ein Mann in mittleren Jahren ist.

Wir lesen von armenischen Kindern, die ins Schwarze Meer gestoßen werden, wir lesen von der entsetzlichen Sage des Tepegöz aus der türkischen Mythologie, aber wir lesen auch von einem Teenager und seiner ersten Liebe und von einer Mutter, für die es das wichtigste ist, dass ihr Sohn als Deutscher wirkt.

Das Buch ist nicht einfach zu lesen. Es ist nicht chronologisch erzählt, ständig wechseln Zeit und Ort.
Diese sind zwar den Abschnitten immer vorangestellt, aber ich habe oft zurückgeblättert, um zu prüfen, ob der neue Abschnitt zeitlich "zwischen" zwei bereits gelesenen Szenen einzuordnen ist. Im hinteren Teil des Buches mischen sich fast surreal Realität und Phantasien.

Das Buch ist mit verschiedenen Stilmitteln "komponiert", es gibt lyrische Einschübe, bildstarke Abschnitte, Metaphern, eindringliche Wortwiederholungen.

Das Buch erzählt vom Genozid an den Armeniern, im Vordergrund stehen aber die Folgen und die Auseinandersetzung damit für die Folgegenerationen. Es geht um Hass, Rache und Vergebung.

Die vielen Fragmente, die ich gelesen habe, haben mich sehr beeindruckt, gern hätte ich aber von manchen Szenen oder auch Personen mehr gehabt. Mit Ausnahme von Kaan habe ich bei den anderen Hauptpersonen einen kurzen Blick in die Seele des Menschen erhalten. Was ich gesehen habe, kann ich aber nicht richtig erfassen oder deuten, dafür müsste ich mehr wissen, die Menschen sind mir fremd geblieben.
Trotz allem ein faszinierendes Buch mit gravierendem Inhalt in beeindruckender Sprache. Ich hoffe auf weitere Bücher des Autors, insbesondere möchte ich mehr über das gesamte Leben der Menschen erfahren, die wir hier kennengelernt haben.