Schuld, Sühne, Sehnsucht

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Der Protagonist, Kaan, Sohn einer türkischen Mutter und einem deutschen Vater, ist ein begnadeter Gitarrist und Komponist. Als junger Mann reist er mit seiner Freundin in die Türkei zum Begräbnis seiner Großmutter. Vor Ort wird er von Erinnerungen an seine armenische Großmutter und seinen türkischen Großvater übermannt. Deren beiden starken Charaktere finden sich auch in der Stärke von Kaans Mutter (Nur). Kaan denkt zurecht (Seite 199): „Es sind die Männer in den Teehäusern, die Monologe führen und die Welt erklären, während ihre Frauen diese in Bewegung halten.“ Doch Kaan? Wird er seinen familiären und eigenen Ansprüchen gerecht?

Dem Autor, Marc Sinan, ist eine fantastische Reise durch seine eigene Familiengeschichte gelungen, die zurück bis Anfang der 1900 Jahre reicht. Dabei springt er in Kapiteln durch die Jahrzehnte bis in die nahe Zukunft des Jahres 2023 und beleuchtet wiederkehrend die Erzählungen verschiedener Familienmitglieder aus der Perspektive des jeweilig Erzählenden. Die Mystik der alten Geschichten sind geprägt von Gewalt und scheinen auf den Verlauf der Familiengeschichte und deren Verbindung zwischen Armeniern und Türken zu wirken.

Die Figur des Kaan fand ich sehr zerrissen mit der Anmutung eines jungen Mannes mit einer psychischen Störung, ausgeprägten sexuellen Bedürfnissen bei gleichzeitigen Bindungsängsten und unerklärlichen Gewaltfantasien. Dem Druck des Erfolgs als Komponist und Musiker scheint er nicht gewachsen zu sein. Sehr gelungen sind die sprachlichen Bilder, die der Autor zeichnet. Trotz des, für meinen Geschmack, etwas anstrengenden Verfolgens der Handlung entschädigte mich dessen fulminante, teils lyrische, Erzählfähigkeit.

Mein Fazit: „Gleißendes Licht“ ist eine beeindruckend geschriebene armenisch-türkisch-deutsche Familiengeschichte, angefüllt mit Mystik und Religiosität, Macht und Gewalt, Fiktion und Realität.