Vergebung oder Rache

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aischa Avatar

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Marc Sinans Romandebüt ist deutlich autobiografisch geprägt: Wie er selbst, so ist auch sein Protagonist Kaan Komponist und Gitarrist, Sohn eines deutschen Vaters und einer armenisch-türkischen Mutter. Ja selbst die Vornamen der Müttter, Großmütter und -väter in Realität und Fiktion sind identisch.
Sinan erzählt vom türkischen Genozid an den Armeniern, von ererbten Traumata und davon, wie die Folgegenerationen mit alter Schuld umgehen sollen. Sollen oder können die Kinder und Kindeskinder der Opfer den Nachkommen der Täter vergeben oder müssen sie Rache nehmen?
Der Roman ist in sehr kurze Kapitel in vielen Zeitebenen unterteilt, von Anfang des 20. Jahrhunderts bis in die nahe Zukunft. Sinan zeigt große schriftstellerische Kreativität; von zarter, bewegender Poesie bis zu splatterartigen Gewaltfantasien. Am kraftvollsten sind dabei die verschiedenen Interpretationen eines Mythos des Oghusenvolks. Weniger gelungen fand ich leider den Gegenwartsstrang (samt futuristischem Ausblick) mit teils recht anstrengenden, wirren Gewaltfantasien.
Bedauerlicherweise werden einige Themen nur angekratzt, etwa die Auswirkungen einer Zwangsadoption auf ein Kind, das in deren Folge den Glauben der Eltern verleugnen muss. Dann wiederum vergaloppiert sich der Autor in Passagen musikalischer Details, die für Nichtmusiker schwer verständlich sind.
Dennoch empfehle ich das Buch, schon allein wegen des noch viel zu wenig beachteten Themas.