Idee leider nicht ganz ausgeschöpft

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"Bin ich eine vollwertige Frau, wenn ich keine Mutter bin?" Ein Vierteljahrhundert haben wir Zeit. Für eine der, um nicht zu sagen, DIE Entscheidung. Kinder: ja oder nein? Ein vages Vielleicht geht hier nicht. Doch genau dieses Vielleicht, dieses Hin- und Herschwanken zwischen zwei komplett gegensätzlichen Polen, machen viele Frauen in ihrem Leben durch. Ja, es ist möglich: Kinder mit 35 noch partout abzulehnen, nur um dann mit 45 unendlich zu bereuen. Oder mit Mitte 30 mitten in seinem Leben zwischen Kindergarten, Spielplatz und Waschmaschine zu routieren und ebenso fassungslos wie sehnend auf die Frau zurückzublicken, die man noch vor einigen Jahren war.

Entscheidungen und Einstellungen können sich ändern - unabhängig von ihrer (medizinischen) Machbarkeit. Ich finde, diesen Widerspruch hat Jackie Thomae anhand ihrer Protagonistinnen gut eingefangen. Weniger gut gefallen hat mir, dass die Rahmenbedingungen wieder so starr gesteckt sind: Marie-Claire macht Karriere beim Radio, Anahita bekleidet ein wichtiges poltisches Amt. Lydia hat bereits zwei Kinder und ist vor allem: Mutter. Erneut haben wir lediglich die Entscheidung zwischen Kindern und Karriere, zwischen Gesettelt-Sein und Fortschritt. Genauso, wie man (angeblich) doch Beides haben kann, wäre es wirklich mal revolutionär, ein Buch zu lesen, in dem man gar nichts davon hat/haben muss.

Das allein würde den knapp 500 Seiten fassenden Roman aber nicht füllen: Thomae gönnt sich den Kunstgriff einer Pille, die die Fruchtbarkeit von Frauen noch sehr viel weiter verlängert. Inwieweit beeinflusst das eine Entscheidung? Ohne tickende Uhr im Hinterkopf?

"𝑆𝑖𝑒 𝑘𝑜𝑛𝑛𝑡𝑒 𝑎𝑢𝑠𝑔𝑒ℎ𝑒𝑛 𝑢𝑛𝑑 𝑑𝑎𝑛𝑎𝑐ℎ 𝑑𝑖𝑟𝑒𝑘𝑡 𝑤𝑖𝑒𝑑𝑒𝑟 𝑖𝑛 𝑑𝑒𝑛 𝑆𝑒𝑛𝑑𝑒𝑟 𝑓𝑎ℎ𝑟𝑒𝑛. 𝑆𝑜 𝑣𝑖𝑒𝑙 𝐾𝑟𝑎𝑓𝑡! 𝐾𝑟𝑎𝑓𝑡, 𝑑𝑖𝑒 𝑒𝑖𝑛𝑒𝑚 𝑔𝑒𝑠𝑐ℎ𝑒𝑛𝑘𝑡 𝑤𝑢𝑟𝑑𝑒, 𝑢𝑚 𝐾𝑖𝑛𝑑𝑒𝑟 𝑔𝑟𝑜ß𝑧𝑢𝑧𝑖𝑒ℎ𝑒𝑛."

Schon ganz zu Beginn greift die Autorin mit dieser Formulierung dem Zwiespalt vor, wie ich finde. Ob das eigene Energielevel mit 50 oder 60 der Mutterschaft gewachsen wäre, ist fraglich; ebenso, wie unsere Gesellschaft diese Aufschieberei der Kinderfrage prägen würde. Es wär' der feuchte Traum aller neoliberaler Parteien: erst ordentlich in die Karriere buttern, um dann Renteneintritt direkt mit Mutterschutz zusammenzulegen, haha :D
Tatsächlich ist das für mich die spannendste Frage des Romans, deren Beantwortung von Seiten der Protagonistinnen relativ schnell abgetan wird. Dieses erzählerische Potenzial wurde in meinen Augen nicht ganz ausgeschöpft. Schade!