Glasknochen - „Und doch hat er so gerne gelebt.“

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mianna Avatar

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Worum es in diesem Roman geht, ist nicht in ein paar Sätzen zu erklären.
Manuel hat die Glasknochen-Krankheit. Als er eines Nachts eine akute Atemnot hat, wird von seinem Freund und Nachbarn Lothar der Krankenwagen gerufen, der ihn wieder einmal in ein Krankenhaus bringt. Es ist kurz vor Weihnachten und das Krankenhauspersonal hat viel zu tun.
In ihrem Buch schreibt Marianne Efinger von den Wünschen und Vorstellungen, die Pflegerinnen, Ärzte, Lothar und Manuel vom Leben haben.
Da gibt es zum Beispiel die junge, beliebte Schwester Dagmar, die in ihrem Beruf nicht aufgeht und mit der zunehmenden Rationalisierung der Pflegearbeit mehr und mehr Probleme bekommt. Statt dem aufreibenden Arbeitsalltag und den unmöglichen Arbeitsbedingungen wünscht sie sich ein Leben auf einem Bauernhof mit Mann und Kindern. Die Stationsärztin Regina Funke hat schon lange ihre Ideale und Menschlichkeit verkauft - für eine vollbesetzte Station und zahlende Patienten. Der junge praktische Arzt Christian ist auf dem besten Weg, es zu tun.
So macht sich jede Figur seine Gedanken über die Fragen, was er sich vom Leben wünscht und wie viel Qualität er seinem Leben gibt. Und dann findet auch noch Gott und das Bild vom „Himmel als Belohnung“ Platz.

Die Themen dieses Buches sind alles in allem sehr spannend und wurden gut aufgearbeitet. Jedoch frage ich mich: mussten wirklich alle Themen in diesem Buch Platz finden?
Die Verknüpfungen der einzelnen Teile war mir nicht immer verständlich, weil jeder Teil für sich viel Aussagekraft hatte und in einem anderen Buch, für sich, besser hätte wirken können.

„(Manuel) [...] hat erkannt, dass er einmalig und unverwechselbar ist, wie jeder Mensch einmalig und unverwechselbar ist, wenn er sich denn ganz und gar selber lebt....“ (S.177)
Mit seiner Weisheit, den zwischenzeitlich eingestreuten naiven Definitionen des Lebens und diesen brisanten Themen hat mich das Buch beeindruckt.
„Eine Freundschaft ist eine wechselseitige, persönliche Beziehung, die sich über einen langen Zeitraum und in den Extremsituationen Glück und Not bewährt.“ (S. 116)
Rührend, traurig, tiefgründig und rücksichtslos ehrlich, sarkastisch und bildhaft sind die Beschreibungen. „...(In) seinen Augen sitzt eine verstohlene, kleine Freude... .“ (S. 41)

Jeder Charakter für sich ist einfühlsam und detailliert beschrieben, sodass ein genaues Bild von den Personen entsteht. Die Beschreibung Manuels Leben mit seinen Glasknochen ist einfach fantastisch und beweist mir einmal mehr, dass Menschen mit Behinderungen manchmal mehr im Leben erkenne als der Rest. Auch die Krankenschwester Dagmar und Manuels Freund Lothar mit seiner Frau sind sympathisch dargestellt. Andere Personen in diesem Buch sind in ihrer Art widerlich, dumm und töricht. Sie beanspruchen das Recht der Entscheidung über Leben und Tod für sich. Entsetzlich war es, von Ärzten zu lesen, die Entscheidungen weit über ihre menschlichen Befugnisse treffen.

Der Roman hat auch noch eine medizinisch-fachliche Seite. Krankheiten und Behinderungen werden aufs genauste geschildert und definiert. Leser, die nicht in einem medizinischen Bereich arbeiten oder keine Lust haben, ein medizinisches Wörterbuch zu lesen, finden deshalb an diesem Buch wohl wenig Gefallen. Es kann jedoch informativ sein vom „Kohlendioxidpartialdruck“, von „hyperkapnischer Atemstimulation“ und der „Medulla oblongata“ (u.a.) zu lesen und so das Wissen zu erweitern.

Und so ist das Buch, das besser drei Bücher wäre, ein kleines realistisches Abbild der Welt, märchenhaft und gleichzeitig auch etwas überirdisch.