Ein unerwarteter Blickwinkel

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queenhedy Avatar

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Christopher Wilson betrachtet in seinem Roman Guten Morgen, Genosse Elefant die Sowjetunion unter Stalin durch die Augen eines zwölfjährigen Jungen, der seit einem Unfall mit einer Straßenbahn einen Hirnschaden hat.
Juri Zipit, der von sich selbst behauptet ein Idiot zu sein, ist den Leser:innen sofort sympathisch und wirkt wie ein interessanter Protagonist, der nicht einem Schema F entspringt und Abwechslung in den Lesealltag bringt. Doch ist Juri auch ein Protagonist, dem man nicht immer ganz vertrauen kann, sagt er doch selbst, er hat einen Hirnschaden und kann sich nicht immer genau an alles erinnern. Dies macht den Roman jedoch auch wieder ein Stückchen interessanter. Andererseits wird er für nicht geübte Leser:innen, die vielleicht nicht allzu viel Wissen über die Sowjetunion und deren wichtige politische Akteure haben, sehr anstrengend, denn niemand wird hier beim (bekannten) Namen genannt, auch Zeit und Ort werden nur vage beschrieben.
Wilson möchte einen Eindruck vermittelt, von einem Land, das es heute so nicht mehr gibt, das von einem Tyrannen regiert wurde und in dem jeder Gedanke den Tod bedeuten konnte. Dies beschreibt er mit den Worten eines Kindes, das sich selbst nicht in der Politik auskennt, dafür aber ziemlich treffend alles beschreiben kann - dadurch wirkt es zeitweise, als hätte der Autor vergessen, wer sein Protagonist ist.
Auch ist es für mich problematisch, wenn ein Engländer dermaßen kritisch die Situation in einem Land beleuchtet, unter dessen Gesetzen er vermutlich nie zu leiden hatte.
Alles in allem ist es ein gut geschriebener Roman, den man vermutlich nicht zu ernst nehmen sollte und nicht als pseudo-historisches oder gar historisches Zeugnis dieser Zeit sehen darf. Für mich reiht es sich ein mit Filmen wie "The Interview" über den nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un.