Nur Humor kann bei so viel Horror noch helfen

Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern Voller Stern
schmiesen Avatar

Von

"Wie ein wahrhaft patriotischer Slawe werde ich für Sie und das Vaterland essen."


Der zwölfjährige Juri ist Sohn des Moskauer Zoodirektors und seit einem schlimmen Unfall mit der Straßenbahn körperlich und auch gesitig eingeschränkt. Als der kranke Mann aus Stahl ihn zu seinem Vorkoster macht, geschieht dies in der Annahme, Juri sei ein "Idiot". Doch der Junge bekommt allerhand mit, und der Stählerne vertraut ihm so manches brisante Geheimnis an.

Mit Juri erschafft Christopher Wilson einen ganz und gar außergewöhnlichen Protagonisten. Ein körperlich und geistig versehrter Junge, dem die Leute augrund seines engelsgleichen Gesichts ihre schlimmsten Geheimnisse anvertrauen. Der einfach ungefiltert losredet und -fragt und sich so in manch unschöne Situation verfrachtet, die Leute aber auch bloßstellt. Durch seine Augen betrachten wir das Geschehen rund um den Stählernen, der hier in einer historischen Satire seinen großen Auftritt hat. Stalin säuft, schreit, beleidigt, ist ein wahrer "Droschkenkutscher", und auch seine Entourage ist nicht viel besser. Jeden Abend werden ausufernde Partys geschmissen, bei der die Minister tanzen, kriechen und saufen. Man kann es sich beinahe vorstellen, dass es so oder so ähnlich tatsächlich abgelaufen ist auf Josephs Datscha.

Juris Eigenheiten dämpfen den Horror des Sowjetregimes, der als Hintergrundrauschen immer das satirische, amüsante Geschehen begleitet. Beispielsweise ist Juri nicht folterbar, da er auf Schmerzen mit epileptischen Anfällen reagiert - das ist schlecht, wenn man Informationen aus einem Gefolterten herausbekommen will. So verbindet sich der Schrecken mit dem Witzigen, was eine wirklich delikate Kombination ergibt.

Gleichzeitig ist Juris Geschichte wirklich traurig und berührend, da er viel durchleidet und doch nie die Hoffnung verliert. Wider besseres Wissen glaubt er daran, dass sein Vater noch lebt, und mir standen bei dieser kindlichen Gläubigkeit die Tränen in den Augen. Juri hat die großen Staatsgeheimnisse gehört, Schmerzen gelitten und weiß im Grunde als einziger im Lande wirklich Bescheid - aber vor allem ist er ein einsamer kleiner Junge in einem Staat, in dem es außer Haferbrei nichts zu essen gibt.

Christopher Wilson greift in "Guten Morgen, Genosse Elefant" ein schon vielfach besprochenes Thema auf: den Schrecken der Sowjetunion unter Stalin. Doch so nah an einen (fiktiven) Stählernen hat sich wahrscheinlich noch niemand herangetraut. Und die Augen eines schmerzresistenten Kindes relativieren den ganzen Terror auf ein erträgliches Maß. Denn manchmal ist Humor der einzige Weg, das Unbegreifliche zu erzählen.