Was Pflege bedeutet

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Klaras Mutter Irene hatte einen Schlaganfall und benötigt Hilfe. Die kann Klara neben Karriere, Ehemann und Tochter nicht leisten, also kümmern sich Radek und Paulína im Zweiwochenrhythmus um Irene, die im Obergeschoss lebt. Radek wird zähneknirschend ertragen, Paulína dafür ausgenutzt. Bis sie merkt, dass ihr eigenes Leben wegdriftet und sie die Verbindung zu ihren Söhnen verliert - für eine Familie, die nicht ihre ist.
„Halbe Leben“ von Susanne Gregor ist ein heftiger Roman, was nicht an Klaras Sturz in den Tod am Anfang liegt, sondern an der feinen Erzählweise mit der Susanne Gregor zwei Welten aufeinanderprallen lässt. Erst glaubte ich noch, dass es nur um Klara geht und das tut es auch, allerdings nicht im herkömmlichen Sinne. Nicht sie ist die Sympathieträger, sonder Paulína, die scham- und skrupellos ausgenutzt wird und darüber ihre eigenen Kinder, die sie mehr liebt als Klara ihre Tochter Ada, vernachlässigen muss, um ihre Pflicht zu erfüllen und die pflegebedürftige Irene nicht allein zu lassen, wie es Klara tut. Ich bin immer noch wütend auf Klara, die sich lieber noch in eine Schwangerschaft quatschen lässt und auf Paulína ausruht. Und auch auf Klaras Ehemann Jakob, der sich ebenfalls jeglicher Verantwortung entzieht und nicht mal in der Lage ist, mit dem Hund, den ER angeschafft hat, spazieren zu gehen.
Dieses zwischenmenschliche Beziehungsgeflecht macht einen großen Teil des Romans aus, aber da ist auch Irene, die immer mehr abbaut und zwischen den Zeiten taumelt. Auch das schildert Susanne Gregor eindrücklich. Sie springt zwischen den Figuren und rast auf den jeweiligen Gedankenströmen. Nicht nur Paulína, Klara und Irene kommen zu Wort, sondern auch Rišo, Paulínas ältester Sohn, der zeigt, wie sehr es schmerzt, wenn die Mutter sich um eine andere Familie kümmern muss.
„Halbe Leben“ verdeutlicht, was es heißt Pflege zu brauchen, sie zu geben und sich ihr zu verweigern. Ein Buch, das noch lange nachhallen wird.