Mehr als eine Mutter-Tochter- Geschichte
Kristine Bilkau, eine Meisterin der leisen Töne, bleibt auch im neuen Roman ihrem Stil treu.
Annett, die 49jährige Ich- Erzählerin, arbeitet als Bibliothekarin und lebt ansonsten zurückgezogen auf einer kleinen Halbinsel in der Nähe von Husum. Hier hat sie nach dem frühen Unfalltod ihres Mannes die Tochter Linn allein großgezogen. Nun ist Linn erwachsen und längst weg von zuhause..
Da bekommt Annett eines Tages den Anruf einer Klinik in Neubrandenburg. Ihre Tochter Linn habe bei ihrem Vortrag einen Schwächeanfall erlitten und liege nun im Krankenhaus. Wie konnte das sein?
Annett war stolz auf ihre kluge und engagierte Tochter. Nach dem Abitur hatte Linn zunächst in Schweden und in den rumänischen Karpaten bei Aufforstungsarbeiten geholfen und nun nach dem Studium Arbeit bei einer Firma gefunden, die sich um Umweltprojekte kümmert.
Die Mutter reist sofort ans Krankenbett der Tochter und holt sie zu sich nach Hause.
Aus den angedachten acht Tagen Erholung wird eine Pause von mehreren Monaten. Und Mutter und Tochter müssen sich wieder aneinander gewöhnen, ihre Beziehung neu sortieren.
Annett ist zunächst besorgt, will helfen und verstehen, doch Linn vermeidet jegliches Gespräch über ihren Zustand. Als die Tochter dann noch ihren Job kündigt und ihre Wohnung in Berlin auflöst, ist Annett ratlos. Wie soll das weitergehen, sie beide unter einem Dach? Die Tochter sollte doch ihr eigenes Leben führen und nicht wieder zurück ins Kinderzimmer ziehen.
Es ist ein langsamer Prozess, in dem sich die beiden Frauen wieder näher kommen und den Kristine Bilkau feinfühlig beschreibt.
Der fragile Zustand der Tochter weckt schmerzhafte Erinnerungen an den Tod des Mannes, der bei einer Joggingtour zusammengebrochen und gestorben ist. Hat Annett danach ihre Tochter erdrückt mit ihrer Fürsorge und ihren Erwartungen? Das wirft ihr Linn zumindest vor. Und Annett muss zugeben, dass sie enttäuscht ist, als die Tochter beim örtlichen Bäcker einen Aushilfsjob annimmt. Und ja es stimmt, sie hat lange versucht, ihr Kind vor der Wirklichkeit zu beschützen. „ Ich hatte Linn die Zukunft als großes Versprechen verkauft.“
Darin werden sich viele Eltern wieder erkennen. Man möchte den Kindern Hoffnung geben, sie bestärken darin, dass die Welt ein guter und gerechter Ort ist. Dabei wissen wir viel zu gut, dass das nicht stimmt. Nein, im Gegenteil! Wir hinterlassen unseren Kindern und Enkelkindern eine Welt voller Probleme, wobei der Klimawandel etwas ist, was sehr konkret die Zukunft unserer Kinder bedroht.
Linn hat sich schon früh für dieses Thema interessiert. Ihr Engagement im Umweltschutz war für sie eine Möglichkeit, dagegen zu halten . Umso größer dann ihre Enttäuschung, als sie feststellt, dass ihr Arbeitgeber Firmen und Institutionen beim „Reinwaschen“ mit CO2 - Zertifikaten hilft. Deshalb möglicherweise der Zusammenbruch, deshalb die Kündigung.
Es ist aber nicht nur die Tochter, die sich neu orientieren muss, auch Annett steht vor der Frage, wie ihr Leben weitergehen soll. Sollte sie irgendwo anders einen Neuanfang wagen? Die stille Auseinandersetzung mit der Tochter führt dazu, dass auch sie vieles in Frage stellt und mit neuer Energie die Dinge anpackt.
Kristine Bilkau beschreibt diesen Prozess sehr ruhig und unaufgeregt. Vieles wird nur angedeutet, steht zwischen den Zeilen. Das lässt genügend Raum für eigene Gedanken und Interpretationen.
Maßgeblich für die Atmosphäre des Romans ist auch sein Schauplatz, die Küstenlandschaft vor der Nordsee, einem beständigen Wandel unterworfen und mit seinen verheerenden Sturmfluten in der Vergangenheit Menetekel für die Zukunft.
Literarische Verweise, die die Themen des Romans illustrieren, finden sich einige im Roman. Da ist z.B. ein ins Meer hinaustrabender Schimmel, der sogleich an Theodor Storms „ Schimmelreiter“ denken lässt. Dann Liliencrons Gedicht über die in der Nordsee versunkene Stadt Rungholt und Ibsens Drama „ Ein Volksfeind“, in dem die Öffentlichkeit genauso wenig die Wahrheit hören will wie heute beim Klimawandel.
Ja, es steckt ungemein viel in diesem schmalen Buch, trotzdem wirkt es nicht überfrachtet. Denn Kristine Bilkau bringt all diese Themen sehr subtil im Text unter.
So ist „ Halbinsel“ das Porträt einer Mutter- Tochter- Beziehung und zugleich ein Roman, der aktuelle Probleme aufgreift und Verständnis weckt für die Ängste und Nöte einer Generation. Völlig zurecht mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet.