Familie, Einsamkeit und Liebe

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toniludwig Avatar

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Der vierte Roman der amerikanischen Literaturprofessorin Ann Napolitano erschien im März des vergangenen Jahres unter dem Titel >>Hello Beautiful<< und wird nunmehr im DuMont Buchverlag Köln in der bewährten Übersetzung von Werner Löcher-Lawrence verlegt, >>Hallo, Du Schöne<< lautet titelgleich das Werk.

William Waters, der Junge aus dem Vorort von Boston, durchlebt unter dem Eindruck des frühen Todes seiner größeren Schwester eine Kindheit, die durch die Verbitterung seiner Eltern geprägt ist und in welcher Zuwendung und Herzlichkeit gar nicht erst aufkommen.
Basketball lautet der Ausweg für William, denn zunächst braucht es hierfür nur einen Korb und einen Ball.
Die Einsamkeit wird geringer, als William erstmals gesehen wird im besten Wortsinne, in diesem Falle von gleichaltrigen Mitspielern.
Und auf diese Weise lernt der stille Junge, was es bedeutet, Teil einer Gemeinschaft zu werden und intensiviert zugleich sein Spiel.
Dies kommt ihm zu Gute, als er im Chicago - Collage weiterhin seinem Sport nachgehen kann, nunmehr auch auf beachtliche 2 Meter eins gewachsen.

Zu dieser Zeit tritt die kluge und hübsche Studentin Julia Padavano in sein Leben, die keineswegs aus einem begüterten Hause kommt, aber ihren neuen Freund furchtlos ihren Eltern vorstellt, nachdem er zuvor von ihrer Schwester Sylvie und den beiden Zwillingsschwestern Cecilia und Emeline bei Sport >>begutachtet<< wurde.

Es kommt zu einem ersten Zusammentreffen in der Familie von Julia und zu einem Kennenlernen, welches das Leben der jungen Menschen nachhaltig beeinflussen wird.
Julia entwickelte dabei schon immer Pläne, für sich, ihre Schwestern mit denen sie scheinbar untrennbar verbunden ist und nun auch für ihren zukünftigen Mann.
Als >>Rakete<< wurde sie deshalb von ihm Vater oft bezeichnet.
Wie sich dies auf das Leben und die Beziehung der beiden jungen Menschen auswirkt und welche Rolle die Schwestern und Familie überhaupt spielen, wird in diesem Roman überwiegend im Zeitraum von 1982 bis in Jahr 2008 erzählt.

Nahezu mystische Zeilen aus einem Hauptwerk des amerikanischen Lyrikers Walt Whitman sind dem Buch vorangestellt, sie werden den Ton des Buches begleiten, dessen erster Satz gleichermassen Schicksale der Protagonisten bestimmen werden :
>>Die ersten sechs Tage seines Lebens war William Waters kein Einzelkind.<<

Charlie, Ehemann von Rose und Vater der Schwestern ist ein kenntnisreicher Verehrer von Whitman und vielleicht sogar ein Seelenverwandter.
Erst als er unerwartet stirbt, wird zumindest seinen Kindern klar, wie angesehen ihr Vater in Pilsen, einem Arbeiterviertel voller Immigranten, gewesen war.
Und was sie mit ihm alles noch hätten besprechen können und wie sehr er auch ohne grosse Worte und Gesten seinen Schwiegersohn, der nicht ein Gedicht in seinem Leben bislang gelesen hatte, verstand und warum er sein Leben so oft mit dem Alkohol gelindert hat.
Er ist es auch, der seine Mädchen titelgebend begrüsste, >> Hallo, Du Schöne<<, Worte, die das Leben des Vaters überdauern werden.
Seine Seele jedenfalls wird über alle Zeit in den Gedanken der Mädchen bleiben, mehr als ihre Mutter Rose, die zwar nicht stirbt, aber deren katholischer Starrsinn zu einer Entfremdung führen wird.
>>Charlie war zu Lebzeiten immer als Versager gesehen worden, doch Jahrzehnte nach einem oder liebet ihn seine Tochter noch immer so sehr, dass er für William der erfolgreichste Mann war, den er je kennengelernt hatte<<, heisst es an einer Stelle des Romans.

Dies sind die Rahmenbedingungen der Handlung, die sich gleichwohl um William und seine Beziehung zu Julia und ihren Schwestern rankt.
William spürt ein für ihn lange Zeit unerreichbares Glück mit Julia und er tut alles dafür, ihre Liebe zu erwidern.
Noch hat er Erfolge im Basketball, doch durch Knieverletzungen ist das Betreiben seines geliebten Sports gefährdet und beschädigt wohlmöglich auch sein Selbstvertrauen.

Der Roman wird in übersichtlichen Kapiteln über William, Julia und der bücherliebenden Sylvie erzählt, gegen Ende kommt noch eine weitere erwachsene Person hinzu.
Jede der Schwestern entwickelt ihre eigene Geschichte und nicht alle Vorhersagen von Julia, der Ältesten, werden eintreten.

Es wird Irrtümer geben, Verwerfungen, Fehleinschätzungen, harte Entscheidungen, Geheimnisse, unbequeme Wahrheiten, trügerische Sicherheiten, Zerbrochenheit und zudem bahnen sich scheinbare Unmöglichkeiten Raum.

Die Geschichte jedenfalls entwickelt sich wie ein Sog.

Und wer sich darauf einlässt, in das Beziehungsgeflecht der Familie einzutauchen, wird hierfür überbordernd belohnt werden.

Denn der kluge Roman handelt von Liebe, auch innerhalb der Familie, obschon der strapazierte Satz >>Blut ist dicker als Wasser<< nie auftauchen wird.

Aber die Empathie seiner Protagonisten erzeugen beim Lesen neben all der finsteren Traurigkeit auch ein tiefes wärmendes Gefühl, dass die Kälte der Gegenwart förmlich schmelzen lässt, melancholisch und nie sentimental.
Es ist auch ein Roman über Freunde und wie wichtig und kostbar gar Freundschaften überhaupt sind, zuweilen gar überlebenswichtig.
Und er beschäftigt sich klug mit der Frage, wie wichtig die berufliche Karriere im Leben eines Menschen wohl sein mag und ob wir einander verzeihen können (und wann es dafür zu spät ist).

Der in Amerika vielbeachtete Familienroman ist die 100. Empfehlung des Oprah Book Clubs und stand ebenso auf der Leseliste von Barack Obama 2023.
Zuweilen wurde kolportiert, dass der frühere Präsident der USA den Roman mag, weil es ein Basketballbuch sei.
Dies ist in jedem Falle zu kurz gegriffen, denn der Sport ist zwar prägend für William, aber er dominiert nicht die Handlung.

Eine überaus klare Leseempfehlung des mit einem hinreissenden Cover und einem Lesebändchen von Dumont gut ausgestalten Buches, welches lange nachhallt.