Ödlandweh

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sago Avatar

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"...Er spricht von einer Krankheit namens Ödlandweh...Der Patient ist möglicherweise überzeugt, dass er verfolgt wird und umgehend den Zug verlassen muss. Es kann sein, dass er vergisst, wer er ist, wie er heißt und warum er sich überhaupt in dem Zug befindet. Bei umgehender Behandlung kann er wieder zu sich gebracht werden, aber es gelingt nicht bei jedem. Es gibt keinerlei körperliche Anzeichen der Krankheit, sie ist heimtückisch - ein Entgleiten des Verstandes, wie Rostow es nennt."

Mit dem Ödland schafft Sarah Brooks eine fiktive, von Mauern umschlossene Landschaft zwischen China und Russland, die nur der Ödlandexpress der Transsibierien Kompanie durchqueren darf, schwer gepanzert und mit besonderem Sicherheitsglas versehen. Obwohl der Reiseschriftsteller Rostow in seinem Handbuch für den vorsichtigen Reisenden vor den Gefahren des Ödlandes warnt, weiß im Grunde niemand, wie es wirklich beschaffen ist und was bei der letzten Durchquerung des Zuges geschah. Doch nun macht sich der Ödlandexpress erneut auf die Reise und seine Passagiere ebenso wie die Crew haben ebenfalls manches zu verbergen. Und wie schon Nietzsche wusste, wenn du in den Abgrund blickt, blickt der Abgrund irgendwann auch in dich....

Es ist immer ein besonderes Lesefest, wenn ich auf einen Roman stoße, der sich einer herkömmlichen Klassifizierung entzieht. Er ist zwar einerseits schön, aber auch so unscheinbar verpackt, dass ich nur durch Zufall darauf gestoßen bin, was für wunderbare fantastische Elemente er enthält. Insofern hoffe ich, dass er trotz dieser fehlenden Information im Klappentext das richtige Publikum finden wird.

Sarah Brooks erzählt aus wechselhaften Perspektiven von dieser ungewöhnlichen Reise und versteht es meisterhaft und atmosphärisch dicht, die Grenzen der Realität erst allmählich, dann immer drängender verschwimmen zu lassen. Mit der tatsächlichen Beschaffenheit des Ödlandes weiß sie ebenso zu überraschen wie mit dem Ende des Buches. Ob das Ödland vielleicht eine Anspielung auf Tschernobyl und das Ende eine Anspielung auf das zeitgenössische Russland sind, kann jeder Lesende für sich entscheiden. Dieses hervorragende Debüt hat sich für mich jedenfalls als als andere als öde erwiesen.