Wunderbare Reiselektüre mit vielfältiger Interpretationsmöglichkeit

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Das Ödland. Eine weite, brachliegende Fläche zwischen Russland und China. Unerforscht und nahezu unüberwindbar, treibt das menschliche Bewusstsein hier davon wie Steppenläufer, verwirbelt, verweht - und kehrt manchmal nie wieder unversehrt zurück.
Nur wenige Reisende wagen deshalb die abenteuerliche Durchquerung mit dem Zug der Transsibirien-Kompanie. Das "Handbuch für den vorsichtigen Reisenden durch das Ödland" zählt hierbei zur beinah obligatorischen Reiselektüre, will man seine Sinne beisammen halten. Der Zug selbst ist eine hermetisch abgeschlossene Konstruktion, angesiedelt zwischen Orient-Express und Snowpiercer.
Was das Ödland ist, bleibt lange unklar. Die Gefahren, die am Zugfenster vorbeiziehen, sind diffus und nicht zu greifen, nicht zu erklären. Das Einzige, was festzustehen scheint: man kann sich verlieren. Wer zu lange nach draußen blickt, in den blickt das Draußen zurück (frei nach dem Abgrund). Vor diesem Hintergrund begleiten wir Weiwei, das "Zugkind", an Bord geboren und Zuhause, bei einer ihrer Durchquerungen. Man sollte meinen, für sie wäre es eine Routine, doch auf den Schienen passierte schon bei der vergangenen Reise Unerklärliches: das Fensterglas bekam Risse, *etwas* drang ein. Was passiert ist, weiß niemand genau, aber die Angst eines erneuten Zwischenfalls schwebt über Besatzung und Passagieren.
Unter ihnen: Maria Petrowna, die Tochter das Glasmachers, die unter falschem Namen reist und herausfinden will, was passiert ist, um den Ruf ihres Vaters wieder herzustellen. Außerdem an Bord: eine blinde Passagierin, von der nur Weiwei weiß; ein ehrgeiziger Forscher und die unheimlichen Vertreter der transsibirischen Kompanie...

Mir hat der Roman unheimlich gut gefallen! Angesiedelt in einer Welt, die der unseren sehr ähnelt, würde ich ihn dem magischen Realismus in neuartiger Weise zuordnen. Alternative Geschichtsschreibung meets Steampunk mit zarten Fantasy-Elementen, ergänzt durch einen Hauch Gesellschafts- und Kapitalismus-Kritik. Noch besser als das Setting gefallen mir allerdings die Protagonist*innen: (historischer) Feminismus im Vorübergehen. Der Captain des Zuges ist eine Frau, die drei handelnden Personen im Fokus ebenfalls. Eine wunderbare Reise- und Ferienlektüre, die sich in eine Schublade stecken lassen möchte und aus der jede*r ziehen kann, was für ihn gerade wichtig ist, weil es so viele Interpretationsmöglichkeiten gibt!