Im Schatten des Vorgängerbandes

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wolfgangb Avatar

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Der Beginn des Romans ist zugleich der Abschluss.
Prolog und Epilog bilden eine Klammer, die eine Handlung im Rückblick einschließt, sie wirken wie zwei elektisch geladene Pole, zwischen denen sich ein Lichtbogen aufspannt. Insbesondere ein Schlüsselereignis wird vorweggenommen, die Vorahnung begleitet den Leser durch den Roman ...

Im Zentrum der Geschichte steht die Ermittlerin Emily Baxter, bekannt aus "Ragdoll", dem Debütroman von Daniel Cole als launehafte aber loyale Partnerin von Detective Sergeant Wolf. Beim Lesen akzeptiert man bereitwillig ihre Funktion als Hauptfigur, richtige Sympathie will sich bis zur letzten Seite nicht einstellen. Wie schon im Vorgängerband agiert sie rüde und unhöflich, ihre liebste Beschäftigung scheint es zu sein, andere vor den Kopf zu stoßen:

"Curtis räusperte sich und setzte sich aufrecht hin.
'Ich möchte mich für meine Bemerkung entschuldigen ...'
'Sie können sich entschuldigen, indem Sie den Mund halten', sagte Baxter und beendete das Gespräch."
(S. 44)

Obwohl sie scharfsinnig und zielstrebig viel zur Lösung des Falles beiträgt, scheint die Figur von vornherein als eine Zeitgenossin konzipiert zu sein, die man außerhalb des Buches nicht persönlich kennenlernen möchte. In ihrer exponierten Position im vorliegenden Band tritt dieser Aspekt stärker hervor als in "Ragdoll", legt sich wie ein Stacheldraht um die Figur, der den Leser auf Abstand halten soll.

Und vielleicht ist das auch beabsichtigt: Indem impliziert wird, dass es günstiger ist, die Ermittlungen aus einer sicheren Distanz zu beobachten, fällt es leichter, den Gesamtkontext im Blick zu behalten, ohne sich auf die Befindlichkeiten einzelner Figuren zu konzentrieren. Grausame Morde, die einem Muster folgen und nahezu zeitgleich auf zwei Kontinenten verübt werden, konstituieren sich zu einem Fall, für den der Autor über den Umweg einer abstoßenden Hauptfigur die Vogelperspektive empfiehlt. Dafür spricht auch, wie Emily Baxter sich selbst einschätzt:

"Nicht mal meinem eigenen Freund vertraue ich. Wir sind seit acht Monaten zusammen, aber ich vertraue ihm nicht. Ich lasse seine finanzielle Situation ausspionieren, weil ich so eine scheiß Angst habe, dass er mich benutzt oder verletzt (...) Erbärmlich, oder?" (S. 319)

Bemerkenswert ist auch der lose Zusammenhang der beiden bisher erschienenen Bände von Daniel Cole, die als Teile einer "New Sotland Yard"-Serie beworben werden. Die Strategie, als Hauptfigur des zweiten Teils eine Nebenfigur des ersten zu wählen, erinnert an die "Dublin Murder Squad"-Reihe von Tana French, in der das Hauptaugenmerk jeweils auf ein Mitglied des irischen Ermittlerteams gerichtet ist.

Wie bereits in "Ragdoll" ist es von Beginn an offensichtlich, dass der Serienmörder einem bestimmten Thema folgt. Derartige rituelle oder durch ein gemeinsames Element verbundene Taten sind aus erzählerischer Sicht interessant, weil sie den Eindruck von Vorhersagbarkeit erwecken, sie sind nicht beliebig, der Mörder will eine Botschaft übermitteln, sein Handeln kann bis zu einem gewissen Grad nachvollzogen werden. Damit besteht die Möglichkeit, ihn auf seinem Weg zu überholen, ihm einen Schritt voraus zu sein. Sowohl für den Leser, als auch für die unmittelbar involvierten Ermittler selbst, ist dieser Zusammenhang jedoch über weite Strecken nicht zu erkennen, das Bemühen des Autors, an seinen erfolgreichen Debütroman anzuknüpfen, ist hingegen offensichtlich.

Zu Beginn werden recht ehrzeizig Verbindungen zu "Ragdoll" strapaziert. Die Geschichte erweist sich jedoch als eigensinnig und schlägt, sich gegenüber ihrem Erzähler emanzipierend, eine gänzlich andere Richtung ein. Von der Mörderjagd steuert der Fall auf einen unausweichlichen Höhepunkt zu, einen terroristischen Anschlag, der eine ganze Metropole paralysiert. Somit weist der Titel "Hangman" zwar auf das erste Mordopfer hin, büßt jedoch zunehmend seine Fähigkeit ein, den Roman ans ganzes zu charakterisieren - anders als in "Ragdoll", wo die titelgebende menschliche Puppe bis zum Schluß als Dreh- und Angepunkt fungiert.

Auch diesmal ist das Ausmaß der Grausamkeit fordernd. Die Ereignisse hinterlassen Spuren an den Figuren, jeder Rückschlag ist eine Wunde, die über die Zeit die Seele in ein Narbengewebe verwandeln. Wenn eine FBI-Agentin einräumt: "Der Job hat einfach Vorrag vor allem anderen, ich hab nicht die Zeit, um eine Beziehung zu pflegen. Ich hab den Kontakt zu fast all meinen Freunden verloren" (S. 73), so bringt es der Autor fertig, dieses Geständnis unpathetisch und nicht als genretypisches Klischee wirken lassen. Indem er Parallelen in den Biographien des Täters und eines der Ermittler zieht, wirft Daniel Cole zudem eine Überlegung auf: Wie prägen Schicksalsschläge einen Menschen, wie beinflussen sie den Verlauf seines Lebens? Dieser Gedanke erscheint jedoch zu spät, um adäquat ausgearbeitet werden zu können oder - noch reizvoller - einen Schlüssel zur Lösung des Falles zu bilden.




Persönliches Fazit

Wie bereits "Ragdoll" ist "Hangman" dreckig, hochspannend und zeitweise von makabrem Humor durchzogen. Das Bemühen, mit dem zweiten Teil an den Erfolg des ersten anzuknüpfen, ist unverkennbar, dafür beweist der Autor mit der Wahl einer unsympathischen Hauptfigur ungewöhnlichen Mut.