Portrait einer Freundschaft

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Der Ich-Erzähler Uli ist schon seit frühester Kindheit mit Hannes befreundet, außerdem gehören noch einige andere Freunde (Rick, Kalle, Nele, der Brenninger) der Clique an. Die Freunde verbringen eine unbeschwerte Jugend, bis Hannes im Alter von 21 Jahren bei einem Motorradunfall schwer verletzt wird und seitdem im Koma liegt.
Uli als bester Freund des Verunglückten leidet besonders unter der Situation. Jeden Tag besucht er seinen Freund im Krankenhaus, liest ihm die Sportberichte aus der Zeitung vor, erzählt ihm aus seinem Alltag als Zivildienstleistender im "Vogelnest", einem Heim für psychisch instabile Patienten, massiert Hannes´kalte Hände und versucht auf jede erdenkliche Weise, mit dem Freund in Kontakt zu treten. Auch die anderen Freunde und die Eltern von Hannes erscheinen ziemlich regelmäßig am Krankenbett, doch bald kommt es unter ihnen zu Spannungen, die die Atmosphäre so beeinträchtigen, dass Uli am liebsten der einzige Besucher wäre. Er glaubt nämlich fest daran, dass Hannes trotz seiner "naturgemäßen" Reaktionslosigkeit im Inneren doch alles wahrnimmt, was um ihn herum vorgeht, zumal es nach einigen Monaten leichte Fortschritte gibt.
Auch wenn Uli nicht im Krankenhaus anwesend ist, beschäftigt er sich gedanklich ständig mit seinem Freund und schreibt ihm tagebuchähnliche Briefe, die Hannes nach seiner so sehnlich erhofften Genesung lesen soll. In diesen Briefen verarbeitet Uli seine Probleme. Der Leser wird durch die Briefe nicht nur zum Zeugen von Ulis Leben und Hannes gesundheitlichem Auf- und- Ab, sondern er erfährt auch in Rückblicken einiges über die gemeinsame Jugend der beiden Freunde. Uli ist grundsätzlich ein sehr positiv eingestellter und höchst empathischer Mensch, der auch bei seiner Arbeit im "Vogelnest" wesentlich mehr tut als seine Pflicht. An der psychischen Stabilisierung einiger "Insassen" ist er durch seine einfühlsame Art und innovative Ideen maßgeblich beteiligt. Zwischen ihm und einer dort arbeitenden Nonne entwickelt sich trotz aller Gegensätzlichkeiten erst Respekt, dann so etwas wie eine Freundschaft.

Die Charakterisierung der Figuren hat mir sehr gut gefallen und wird durch den authentischen Sprach-/Schreibstil der jungen Leute glaubwürdig vermittelt, auch wenn der Sprachstil entsprechend dem Handlungsort (Bayern) einige Eigenheiten enthält, die nicht ganz dudenkonform sind.
Lediglich das wahllose und ungezügelte Ausleben sexueller Triebe sowohl auf Seiten der jungen Leute als auch der Psychologin im "Vogelnest", die damit ihren Arbeitsplatz riskiert, fand ich überzogen, unrealistisch und bei der Thematik des Romans ziemlich überflüssig.
"Hannes" ist trotz der bedrückenden Grundstimmung ein Buch, das durch die Darstellung einer unverbrüchlichen Freundschaft positive Akzente setzt: wer einen solchen Freund hat, ist ein "reicher" Mensch.
Das Buch ist sehr gefühlvoll, bzw. einfühlsam geschrieben und auch als Leser, der nicht sehr sentimental ist, kann ein Kloß im Hals bei der Lektüre nicht ausgeschlossen werden. Aber auch auf der intellektuellen Ebene lädt "Hannes" zu Diskussionen ein: Wieviel nehmen Komapatienten von ihrer Umwelt wahr ? Tut man ihnen einen Gefallen, wenn man alle medizinischen Therapiemöglichkeiten ausschöpft oder wäre es humaner, sie gehen zu lassen? Können liebende Anghörige/Freunde einen Komapatienten durch ihre ständige Präsenz am Leben erhalten...und ist das überhaupt noch ein (menschenwürdiges) Leben?

Ein großartiger Roman, der mich tief beeindruckt hat, was nicht zuletzt daran liegt, dass ich selbst zwei Söhne im Alter der Protagonisten habe und dass mein Zweiundzwanzigjähriger selbst ein wahrer "Uli" ist. ![:bewertung1von5:](http://www.buechertreff.de/wcf/images/smilies/sternGanz.png) ![:bewertung1von5:](http://www.buechertreff.de/wcf/images/smilies/sternGanz.png) ![:bewertung1von5:](http://www.buechertreff.de/wcf/images/smilies/sternGanz.png) ![:bewertung1von5:](http://www.buechertreff.de/wcf/images/smilies/sternGanz.png) ![:bewertungHalb:](http://www.buechertreff.de/wcf/images/smilies/sternHalb.png)